Woher kommt die neverending Berlin-Sehnsucht der Münchner?

© Anna Rupprecht

In Print-Zeitschriften gehört es dazu, dass der Herausgeber auf der ersten Seite die Stimmung, Meinung oder Richtung der jeweiligen Ausgabe einfängt. Warum gibt es das auch nicht online?, haben wir uns gefragt. Denn genauso schwirren jede Woche Gefühle, Stimmungen und Meinungen durch München, die wir zwar mitbekommen, aber nirgends festhalten. Diese Kolumne ist der Platz, an dem ich all meine Gedanken zu München und dem, was mir diese Woche in der Stadt begegnet ist, sammle. Diesmal: Die Berlin-Sehnsucht der Münchner reißt nicht ab.

Letzte Woche hatten wir mal wieder das große Vergnügen nach Berlin zu fahren. Diesmal um dort mit dem ganzen Team eine ziemlich gute Weihnachtsfeier zu feiern. Und als ich irgendwann ein bisschen betrunken auf der Tanzfläche stand, habe ich sie mal wieder gespürt: die unbändige Berlin-Sehnsucht, die – bitte nicht falsch verstehen – keine Sehnsucht danach ist, hier wirklich zu wohnen, sondern eher eine Sehnsucht nach Nächten, die so nur in Berlin passieren. Nicht wirklich natürlich, denn alle jene, die schon immer oder länger hier leben, fühlen diese Magie nicht mehr.

Berlin ist eine Stadt, in der man Nächte erlebt, die – wie man zumindest denkt – daheim so niemals möglich wären.

Ziemlich wahrscheinlich hat die Berlin-Sehnsucht ja auch gar nichts mit Berlin zu tun, sondern nur mit einer fremden Stadt, in der man nichts und niemanden kennt. In der man sich noch neugierig umguckt, weil man es darauf anlegt, Neues zu entdecken. In der man Nächte erlebt, die daheim so niemals möglich wären – denkt man zumindest. Warum? Weil hier der Alltag ist, der Job, die Menschen, die man fast alle kennt. Oder zumindest deren Freunde. Und das ist sauschön, aber halt auch nicht sonderlich magisch.

Berlin ist für die Münchner dagegen wie eine kleine Affäre, deren Namen man immer verwechselt. Die man auch gar nicht wirklich kennenlernen will, weil man insgeheim weiß: Der Sex ist nicht außergewöhnlich genug, als dass er die Liason tragen könnte. Sondern 80 Prozent der Magie sind nur der äußere, wahnsinnig geheimnisvolle Rahmen. Und, wenn man den wegnehmen würde, bliebe einfach handelsüblicher Sex. München eben – schön, aber halt Missionarsstellung.

Ein bisschen wie auf Malle, nur halt in cool und rough. Berlin ist nur ein Mal im Jahr.

Nun aber immer noch die Frage: Warum eigentlich Berlin? Warum ist genau diese Stadt zum großen Sehnsuchtsort der Münchner geworden und, wenn wir uns ehrlich sind, bis heute geblieben? Es ziehen ja, man mag es kaum glauben, immer noch viele Münchner in die Hauptstadt. Nun ja, zuerst einmal ist Berlin perfekt für so eine Sehnsucht: Es gibt so viele Bars, Cafés und Menschen hier, dass man niemals das Gefühl hätte, fertig zu sein. Die Realität sieht dann zwar oft anders aus – nämlich so, dass man hier auch nur in seinem Kiez und den immer gleichen Cafés abhängt – aber die Sehnsucht beziehungsweise Illusion ist da und ja vollkommen berechtigterweise.

Der andere Punkt ist: Wenn ich hier betrunken auf der Tanzfläche stehe, fühle ich mich wieder wie mit 19. Jedes Mal. Denn Berlin erlaubt einem, zumindest als Besucher, einfach zu sein, sich und sein Leben mal kurz zu vergessen. Ein bisschen wie auf Malle, nur halt in cool und rough. Berlin ist nur ein Mal im Jahr, höhö. Vor allem aber fühlt sich hier alles neu an – wie früher noch in der eigenen Stadt. Wie 2007 im Atomic stehen. Berlin ist also wie die verrückteste Nacht, die du mit 19 jemals hattest. Jedes Mal, aber halt nur ein Mal im Jahr.

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