Von Neukölln nach Untergiesing: Bayern, empör' dich!

© Anna Rupprecht

Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.

Kruzifixe an Hochschulen, Polizisten, die bald beinahe alles dürfen und ein Psychiatriegesetz, das psychisch Kranke wie Straftäter behandelt: In den letzten Wochen ging politisch einiges ab in Bayern. Und das immer nur in eine Richtung: rückwärts, rechtsrum. Obacht, München, jetzt wird Klartext geredet!

Ich frage mich manchmal, ob ich tatsächlich von Berlin nach Bayern, oder doch eher von 2018 nach 1950 gezogen bin.

Zugegeben: Ich kam direkt aus einem der politisch linksten Flecken Deutschlands nach Bayern – aus der allseits bekannten links-grün versifften Blase. Die CDU knackt in meinem alten Kiez nicht mal die zehn Prozent und liegt damit nur fünf Prozentpunkte über Der Partei. Andauernd zogen so viele Demos an meinem Balkon vorbei, dass ich selbst als politisch interessierter Mensch den Überblick verlor. Kaum auszudenken, was in Neukölln los wäre, wenn ein süffisant grinsender Mann im Anzug Kruzifixe an Schulen fordern würde, da sie ja keine Religionsbekundung, sondern ein "Identitätsbekenntnis" seien. Kein Wunder also, dass ich von der nüchternen Art und Weise, wie meine bayerischen Freundinnen und Freunde all diese Nachrichten aufnehmen, erst mal leicht irritiert war.

Während ich mich also manchmal frage, ob ich tatsächlich von Berlin nach Bayern, oder doch eher von 2018 nach 1950 gezogen bin, zuckt mein bayerischer Freundeskreis – obwohl er politisch mit mir voll auf einer Linie ist – nur müde mit den Schultern. Das machen wohl Jahrzehnte der CSU-Einkesselung mit einem: Politische Zermürbung!

Sich in München, eingekesselt von kleinen Söders und Seehofers, konsequent den Kampfgeist zu bewahren, führt unweigerlich zum politischen Burnout.

Und ich kann es euch nicht mal wirklich zum Vorwurf machen, liebe Bayern. Auch bei mir stellen sich schon Ermüdungserscheinungen ein: Wenn ich unabhängig von der Jahreszeit ständig einen Markus Söder in einem seiner verstörenden Karnevalskostüme sehen muss (ich warte darauf, dass ich irgendwann schweißgebadet aufwache, weil mich Söder im Shrek-Kostüm in meinen Alpträumen heimsucht) oder Horst Seehofer im Fernsehen mal wieder irgendeinen Satz zusammenstammelt, in dem jedes dritte Wort "Bayern" und jedes vierte Wort "Heimat" ist.

Befindet man sich gedanklich im Jahr 2018, dann ist es nicht immer leicht, in Bayern zu leben. München ist dabei ein gallisches Dorf und im Vergleich zum Rest des Bundeslandes quasi die Kommune Eins, Sodom und Gomorrha! Sich in München, eingekesselt von kleinen Söders und Seehofers, konsequent den Kampfgeist zu bewahren, führt unweigerlich zum politischen Burnout.

Trotzdem habe ich einen Wunsch: Ein bisschen mehr Empörung, ein bisschen weniger Gewöhnung.

Trotzdem habe ich einen Wunsch: Ein bisschen mehr Empörung, ein bisschen weniger Gewöhnung. Auch wenn es einen als Urmünchner vermutlich nicht mal schocken würde, wenn bald ein Brustwarzenverbot für Kruzifixe eingeführt würde, Schuhplattlertanzkurse den Sportunterricht ersetzen würden oder alle vegetarischen Gerichte in Mensen per Gesetz durch Leberkas ersetzt werden würden. Aber an solche irrwitzigen Gesetzgebungen wie die, die da gerade durchgepeitscht werden wollen, darf man sich auch in Bayern nicht gewöhnen! München, steh' zu deinem Dasein als gallisches Dorf! Und brau' ein bisschen mehr Zaubertrank.

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