Frühling in München: Die Stadt erwacht wieder zum Leben

© Anna Rupprecht

In Print-Zeitschriften gehört es dazu, dass der Herausgeber auf der ersten Seite die Stimmung, Meinung oder Richtung der jeweiligen Ausgabe einfängt. Warum gibt es das auch nicht online?, haben wir uns gefragt. Denn genauso schwirren jede Woche Gefühle, Stimmungen und Meinungen durch München, die wir zwar mitbekommen, aber nirgends festhalten. Diese Kolumne ist der Platz, an dem ich all meine Gedanken zu München und dem, was mir diese Woche in der Stadt begegnet ist, sammle. Heute: Eine Momentaufnahme aus meiner liebsten Jahreszeit.

Am Anfang ist der Frühling immer sehr ungewohnt. Zum ersten Mal keinen Schal tragen, dann keine Jacke mehr mitnehmen und irgendwann geht man sogar nur im T-Shirt vor die Türe. Die Arme noch ganz blass, im kühlen Schatten bekommt man Gänsehaut. Zum ersten Mal an der Isar im noch kalten Gras sitzen und ein Radler trinken. Es ist fast so, als würde man dem Ganzen noch nicht trauen, weil es so lange weg war. Kein Wunder, denn wenn man es genau nimmt, geht unser Winter immer gute sieben Monate. Die Hälfte vom Jahr machen wir also nichts anderes als uns Wärme zu wünschen, uns nach Draußen zu sehnen, dem letzten Sommer hinterher zu trauern und uns auf den neuen zu freuen.

Leben ist nicht jeden Abend in der dunklen Wohnung zu hocken und zu überlegen, was man machen könnte, sondern so viele Dinge machen zu können und trotzdem einfach in der Sonne sitzen zu bleiben.

Nun ist er endlich gekommen und ich war fast überfordert von den plötzlich gefühlt 20 Grad und den vielen Möglichkeiten, die sich damit wieder auftaten und die ich längst nicht mehr auf dem Schirm hatte: Draußen frühstücken, draußen Aperitif trinken, an der Isar sitzen, Radler trinken, in den Biergarten gehen, aufs Wasser vom Starnberger See gucken.

Die Welt ist einfach eine andere, wenn man alle Aktivitäten auf draußen verlegen kann. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber während ich im Januar schon mal den tieferen Sinn meines Lebens hinterfrage, kommen ab Ende März abends auf der Restaurantterrasse bei einem Glas Weißwein oder mittags mit dem Gesicht in der Sonne nicht so viele Fragen auf. Und genau das meint man wohl, wenn man sagt "zum Leben erwachen" – denn Leben ist nicht jeden Abend in der dunklen Wohnung zu hocken und zu überlegen, was man machen könnte, sondern so viele Dinge machen zu können und trotzdem einfach in der Sonne sitzen zu bleiben.

Wunderschön – die Tage werden länger, aber fühlen sich kürzer an.

Die Zeit am Wochenende ist gerast, aber auf eine gute Art. Ich hatte nicht allzu viel vor, aber jedes Treffen hat gleich viel länger gedauert als sonst. So wurde aus einer Weinschorle vor dem Hey Luigi noch Pommes beim Isarwahn und ein Radler unten am Wasser, aus einem Frühstück in der Sonne ein ausgedehnter Spaziergang und schließlich Daydrinking im Glockenbachviertel. Ich wollte gar nicht mehr heim. Wunderschön – die Tage werden länger, aber fühlen sich kürzer an.

Ich frage mich immer im Frühling, ob die Menschen einfach ein bisschen doof sind, dass sie sich jedes Jahr aufs Neue auf all diese Kleinigkeiten freuen: Warme Sonne auf der Haut, das Fenster offen lassen, Vogelgezwitscher morgens im Bett, von der Arbeit heim gehen und es ist noch hell. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, sind das halt keine Kleinigkeiten, sondern wahrscheinlich das Leben.

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