Ist Giesing vielleicht das glücklichste Viertel Münchens?

© Anna Rupprecht

In Print-Zeitschriften gehört es dazu, dass der Herausgeber auf der ersten Seite die Stimmung, Meinung oder Richtung der jeweiligen Ausgabe einfängt. Warum gibt es das auch nicht online?, haben wir uns gefragt. Denn genauso schwirren jede Woche Gefühle, Stimmungen und Meinungen durch München, die wir zwar mitbekommen, aber nirgends festhalten. Diese Kolumne ist der Platz, an dem ich all meine Gedanken zu München und dem, was mir diese Woche in der Stadt begegnet ist, sammle. Heute: Giesing ist das Dänemark Münchens – das glücklichste Viertel der Stadt.

Letztens saßen wir mit ein paar Flaschen Wein noch lange draußen, Untere Weidenstraße kreuzt Sommerstraße. Könnte auch der Anfang eines Romans sein. War aber nur der Anfang einer schönen Sommernacht in Giesing. Und ein paar neuer Bekanntschaften, die den Abend über an uns vorbeiliefen, sich dazusetzten, wieder weiter mussten. Wir redeten natürlich auch übers Viertel und mir wurde einmal mehr bewusst, wie eng hier sowohl der Zusammenhalt, als auch die Verbindung zu Giesing ist. Wie gleich das Gefühl von allen ist, die hier wohnen – ganz egal, wie verschieden sie auch sind.

Das Gefühl von allen, die hier wohnen, ist gleich – ganz egal, wie verschieden sie auch sind.

"Sobald ich über die Brücke geh, fängt der Stress an" und "Es ist so eine Blase hier, ich bekomm gar nichts mit von draußen" waren nur zwei Sätze, die ich an dem Abend aufgeschnappt hatte, die ich genauso so unterschreiben würde und die das Lebensgefühl Giesings ganz gut auf den Punkt bringen. Das sagt man immer so schnell, aber hier ticken die Uhren wirklich noch ein bisschen anders. Man kennt sich – oder ist zumindest offener beim Kennenzulernen. Das behaupte ich einfach mal, weil ich genau diese Erfahrung hier gemacht habe. Bei meinem Metzger, bei meinen Nachbar*innen, bei meiner Schneiderin. Hier ist wenig Anonymität. Giesing ist ein Dorf.

Das spürt man, wenn Sechzig spielt oder wenn die Gemeinde von der St. Franziskus Kirche aus dem Sonntagsgottesdienst einen Straßenzug macht. Wenn der Maibaum aufgestellt wird, donnerstags Wochenmarkt am Hans-Mielich-Platz ist und man in der Schlange bei Türkitch seinen Nachbarn trifft. Und Giesing ist – noch – so wunderbar bodenständig. Um überteuerte Mieten und Luxus-Dachausbauten kommt wahrscheinlich kein Viertel mehr im Innenstadtkern herum, aber Giesing hätte halt auch Bock und Potenzial sich zu wehren, wenn's mal soweit sein sollte.

So wie Dänemark also das glücklichste Land der Welt ist, hat Giesing auch absolut das Potenzial zum glücklichsten Viertel der Stadt.

So wie Dänemark also das glücklichste Land der Welt ist, hat Giesing auch absolut das Potenzial zum glücklichsten Viertel der Stadt. Und das liegt nicht nur an dem schönen Zusammenhalt, sondern auch an dem vielen Grün. In fünf Minuten an der Isar, in sieben Minuten im Rosengarten, in fünfzehn Minuten zu Fuß am Flaucher. Wer alleine sein will, der kann hier gut alleine sein. Und wer Trubel möchte, der bekommt auch den jederzeit. Ich habe nie ruhiger und gleichzeitig lebendiger gewohnt.

Wenn ich Tapas und sauleckeren Wein wie in einem gemütlichen Wohnzimmer haben möchte, setze ich mich in die Bodega Enlatado. Wenn ich Glockenbach-Chic möchte, gehe ich ins Charlie. Und wenn ich mich wie in der dreckigen Großstadt fühlen möchte, dann auf in die Tela. Es gibt süße Cafés in Giesing, genauso wie authentische Boazn, in die ich mich zumindest nicht rein traue. Man kann baden oder tanzen gehen, im Wald stehen oder sehr fein zu Abend essen. Hier wird lieber bei Harald's Brotladen eingekauft, als zu einem der großen Ketten zu gehen.

Und das größte Kompliment: Jede*r, der mal hier gewohnt hat, möchte so gerne wiederkommen. Weil er*sie hier wahrscheinlich ziemlich glücklich war.

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