Nach dem Amoklauf: Alles ist wie immer – und das ist gut so
Ich war gestern, einen Tag nach dem Amoklauf, frühstücken, bin durch die Maxvorstadt spaziert und saß abends im Kino. Das kann man geschmacklos finden. Wenn ich aber an all die Gesichter denke, die gestern mit mir ihr Rührei aßen und durch den Sale bei Kauf Dich Glücklich stöberten, dann kann man sich auch einfach darüber freuen. Ich habe mich jedenfalls gefreut. Dass alles ist wie immer. Dass München sich nicht einschüchtern lässt. Dass wir trotzdem Appetit haben, lachen können, uns trauen.
München ist eigentlich keine Stadt, in der man Angst hat. Man kann jederzeit nachts mit der U-Bahn in die letzten Ecken der Stadt fahren, dunkle Wege durch den Park gehen, alleine bis früh morgens unterwegs sein. Ich kann sagen: Ich fühle mich sicher hier. Bis auf Silvester, als ich neben dem Hauptbahnhof ins neue Jahr feiern wollte und wir das Tor zum Innenhof vorsichtshalber absperrten, bevor wir das Feuerwerk zündeten. Wir uns um zwölf umarmten, ein bisschen enger als sonst. Bei jeder Rakete hörte man aber besonders gut hin. Was war das jetzt? Auch der Alkohol konnte das mulmige Gefühl an diesem Abend nicht wegspülen. Die Angst ist ein guter Schwimmer.
Dass München sich nicht einschüchtern lässt. Dass wir trotzdem Appetit haben, lachen können, uns trauen.
Ähnlich war es nun am Freitag. Ich war zum Glück zuhause, aber die Stimmung, die sich plötzlich wie ein Nebel über die Straßen und Gehwege legte, drang hoch bis in mein Dachgeschoss. Bis in alle Wohnungen. Die ganze Nacht waren Sirenen zu hören, Hubschrauber umkreisten die Stadt, minütlich klingelte das Handy. Ich war irgendwie froh, dass ich nicht alleine war.
Und so ging es tausend anderen Münchnern auch. Westend, Gärtnerplatz, Kunstakademie – Facebook-Freunde, von denen man bisher noch nicht einmal wusste, wo sie wohnen, boten ihre Wohnungen als Unterschlupf an. München rückte in dieser Nacht zusammen. Und das war schön. Vielleicht ist es bescheuert, etwas Gutes finden zu wollen, an einer so schrecklichen Tat wie dieser. Aber: Es hat uns näher gebracht. Und das sicherlich nicht nur für einen Abend.
Eine Menge Veranstaltungen wurden abgesagt – Back to the Woods, das Bierfestival am Odeonsplatz, die HFF-Party natürlich. Und andere fanden statt. In sozialen Netzwerken stritt man sich darüber: Darf man jetzt tanzen? Darf man rausgehen? Darf es weitergehen? Es muss irgendwie weitergehen, das Schwierige ist nur, einen angemessenen Weg dafür zu finden.
München rückte in dieser Nacht zusammen. Und das war schön.
Auch bei Mit Vergnügen hatten wir das Wochenende längst geplant. Plötzlich muss man sich die Frage stellen: Wie handhaben wir das als junges Onlinemagazin, wenn an einem Freitag, an dem man eigentlich dachte, man würde auf der HFF-Party tanzen, jemand wahllos Menschen erschießt? Und wahrscheinlich wird es nicht das letzte Mal gewesen sein, dass man sich überlegen muss, wie man damit umgeht. Das ist schrecklich, keine Frage. Und trotzdem müssen wir es.
Ich war erstaunt, wie viele Menschen gestern in der Stadt unterwegs waren. Wie sorglos man im Café Kuchen essen konnte. Positiv erstaunt, wenn man das so sagen kann. Ich bin jetzt erstaunt, wie weit weg einem dieser Freitagabend, nur eineinhalb Tage später, schon vorkommt. Auch das kann man geschmacklos finden – oder man kann sich einfach darüber freuen. Ich freue mich und ich bin stolz auf München. Ich fühle mich sicher hier, immer noch und immer wieder.