Münchnerinnen, was ist eigentlich mit euren Tinderprofilen los?
Im Grunde wissen wir es alle: München-Berlin-Vergleiche gehören verboten. Das denke ich mir immer, wenn meine Freunde wieder einmal über die vermeintlichen Unterschiede beider Städte sinnieren und sich dabei zuverlässig um Kopf und Kragen reden. Korrektur: meine Freunde und ich. Denn am meisten Unsinn und intellektuelle Niedrigkeit verbreite in der Angelegenheit mit Abstand ich selbst. Seit einer ausgedehnten Hauptstadt-Episode, auf die eine unsanfte Rückkehr nach München folgte, schwinge ich mich regelmäßig zur ultimativen Städtevergleichs-Instanz auf und nerve meinen Freundeskreis mit scheußlich dahin geseufzten Sätzen wie: „Ach ja, hier fährt ja die U-Bahn nicht so oft“, „Kein Späti hier“ oder „Am Kotti wäre uns das nicht passiert ...“
„Du jammerst doch nur herum, weil dich deine Kreuzberger Schickse Sanna verlassen hat“, sagte deshalb mein guter Freund Dani, als wir kürzlich auf der Terrasse der Cantine Cantona auf der Türkenstraße saßen.
In Berlin kommt, anders als in München, keiner mehr auf die Idee sich eine Pilotenbrille aufzusetzen.
„Dabei bist du selber schuld. Während sie jede Nacht mit dir am Paul-Linke-Ufer saß und dich verliebt anhimmelte, hast du insgeheim an die mannstolle Marischa in München gedacht, der du in Wahrheit bis heute hinterher trauerst.“
„Dani, ich rede mit dir nicht über Unwahrscheinlichkeiten wie Marischas telepathische Kräfte, mit denen sie mich in ihren Bannkreis schlägt. Ich rede mit dir über objektivierbare Tatsachen, wie die, dass anders als in München, in Berlin kein Mensch mehr ernsthaft auf die Idee käme, sich eine Pilotenbrille aufs Gesicht zu setzen.“
„Deiner Aussage zufolge, gibt es in Berlin nicht einen statistischen Träger einer Pilotenbrille, keinen einzigen?“
„Keinen unironischen zumindest.“
In Berlin herrscht ein Coolness- und in München ein Fitnessfetisch.
„Weißt du, was dein größtes Problem ist?“
„Dass ich zum zwanzigsten Mal meine Tinder-App deinstalliert und erneut installiert habe, in der Hoffnung, dass ein fehlgeleiteter Algorithmus mir derart wenige Matches beschert hat?“
„Das auch. Aber dein größtes Problem ist, dass du primitiver Kopf alles, aber auch wirklich alles verdrehst. Und zwar bis zur Vollständigkeit“
„Dani, ich habe doch nur gesagt, in Berlin herrsche ein Coolness-, in München ein Fitnessfetisch. Jede Stadt hat nunmal ihren eigenen Code. Denk' doch mal an dein Date heute Abend.“
„Was soll damit sein?“
„Wo hast du ihr vorgeschlagen euch zu verabreden?“
„In der Favoritbar. Ich gehe für meine Tinder-Dates ausschließlich in die Favoritbar.“
„Du wolltest ihr dort wie jedem deiner Dates von deinen größenwahnsinnigen Plänen der Runderneuerung des zeitgenössischen Romans erzählen. Und was schlug sie stattdessen vor?“
„Sie sagte, Alkohol sei nicht ihr Ding. Und ob wir stattdessen nicht etwas draußen unternehmen könnten. Das ist nichts Verwerfliches, bloß weil du und deine dich drangsalierenden Terrorpatinnen immerzu bechert wie die Bauern bei Tschechow.“
Joggen beim ersten Date? Wenn in Berlin jemand losrennt, dann höchstens ein Druffi, der einen Film schiebt.
„Jetzt rück' doch raus damit. Dein selbsternannter Fitnessaddict – Bildunterschrift: Wandern, Berge, Fallschirmspringen –, will mit dir zum Joggen. Bei eurem ersten Date! Das würde in Berlin kein Mensch machen. Wenn da einer spontan losrennt, ist es höchstens ein schreiender Druffi, der einen Film schiebt.“
„Ich möchte eben meine Erfahrungspalette erweitern. Außerdem bin ich – anders als du – alles andere als unsportlich.“
„Das einzige, worum du deine Erfahrungspalette erweitern wirst, ist um ein kardio-vaskuläres Ereignis. Und der einzige Sport, den du seit Jahren gemacht hast, Dani, besteht darin der Tram hinterherzulaufen, damit du schnell wieder deine großen Reden im Le Florida schwingen kannst.“
Dani sah mich an. Gerade hatte sein iPhone geklingelt. In seinen kleinen braunen Knopfaugen blitzte es.
„Lass mich raten, deine Joggerin macht sich vom Asphalt?“
„Ach weißt du was, geh zurück nach Berlin.“
„Sei nicht traurig, Dani. Komm, wir gehen zum Trost deinen Lieblings-Veggieburger essen.“
Ein neues Match! Und die hier ist so schön, dass dir, wenn du ihr Profilbild siehst, das Herz weh tut. Schau!
Als wir auf der Nordendstraße auf Höhe des Freebird die Straße überquerten, klingelte Danis iPhone zum zweiten Mal.
„Ein neues Match! Und die hier ist so schön, dass dir, wenn du ihr Profilbild siehst, das Herz weh tut. Schau!“
„Aber Dani, da steht, dass sie in ihrer Freizeit am liebsten die süßen Surferboys am Eisbach anhimmelt. Die haben Körper wie Balletttänzer und unter ihren blonden Lockenschöpfen geht nicht ein trübseliger Gedanke um.“
„Aber ich wollte doch schon immer Surfen lernen.“
„Na gut, ich verspreche dir, gleich morgen früh versetzen wir deine geliebte Walter Benjamin-Gesamtausgabe. Auf Tinder ist die sowieso ein größerer Abturner als ein Dickpic. Mit dem Geld kaufst du dir dein erstes Board.“
Wieder blitzte es in Danis kleinen braunen Knopfaugen und er ging einen Schritt schneller und entschlossener als sonst seinen geliebten Kichererbsen-Patties im Le Florida entgegen.