Aber genug von mir, wie findest du mich eigentlich so?
Es grenzt schon fast an ein Wunder, wenn man heute jemanden trifft, der einem Fragen stellt. Ich meine, so richtige Fragen – nicht etwas wie "Was habe ich gestern noch mal alles im Rausch gemacht?" oder "Kannst du mir noch die Bilder von mir schicken?". Ich meine jemanden, der Fragen stellt, weil er sich wirklich für sein Gegenüber interessiert. Und der dann sogar noch die Antwort abwarten kann. Denn an zwei Dingen fehlt es uns manchmal oft: Geduld und Interesse.
Daran ist auch das Internet Schuld, aber vor allem wir selbst. Denn keiner sagt, dass wir es so nutzen müssen, wie wir es tun. Dass wir gerne und viel Zeit in unsere Selbstvermarktung investieren, machen wir ganz von alleine. Es heißt heute: Sei deine eigene Marke. Und wir wissen: Digital erfolgreich ist vor allem der, der seine Website im Profil verlinkt, jede Woche das Facebook-Titelbild ändert und alle paar Tage ein Selfie auf Instagram hochlädt. Alles andere à la "Nachdenkliche Bilder ohne Sprüche" oder "Hier habe ich was Interessantes gelesen" kannst du schon machen, aber interessiert dann halt keinen.
Hier ist mein neuestes Projekt. Cool, oder? Und wie findet ihr eigentlich mein Sofa?
Also posten wir Arbeitsproben, ändern Profilbilder, bringen das eigene Portfolio auf Vordermann – ja, und dann sollte man auch immer mal wieder auf Xing vorbeischauen. Hier ist mein neuestes Projekt. Cool, oder? Wie findet ihr eigentlich mein Sofa? Und das ist mein neues Kleid – take or toss? Und was sagt ihr zu diesem schönen Foto, das ich gemacht habe? An Profilen basteln, Selfies üben, Steckbriefe ausfüllen. Dabei immer im Mittelpunkt: Wir selbst. Dass sich das auch auf unser analoges Leben überträgt, ist leider nur allzu logisch.
So darf man sich dann, wenn man jemand Neues kennenlernt, in der Regel erst einmal einen selbstverfassten Wikipedia-Eintrag über denjenigen anhören. Dabei wird natürlich auch gedreht, gefeilscht und gepimpt, wo es nur geht. Soll sich ja möglichst gut anhören. Vielleicht können wir uns heute tatsächlich nicht mehr so gut entscheiden, haben Probleme mit Beziehungen und sind ständig unzufrieden, aber eines können wir dafür umso besser: uns selbst verkaufen.
Vielleicht können wir uns heute nicht mehr so gut entscheiden, haben Probleme mit Beziehungen und sind ständig unzufrieden, aber eines können wir dafür umso besser: uns selbst verkaufen.
"Also, ich mach' ja Filme!" bedeutet demnach meistens nur, dass der Andere hin und wieder mal eine Werbung dreht. "Ich schreib gerade an meinem Roman" – so viele Bücher, wie gerade geschrieben werden, können Verlage im Jahr gar nicht verlegen. "Um was geht's denn in dem Buch?" Um mich. Ach, und das sind übrigens die Autoren, die ich gerne lese. Das sind die Bands, die ich höre. Die Filme, die ich liebe. Das sind meine witzigsten Geschichten, schönsten Fotos und erfolgreichsten Arbeiten. Aber jetzt habe ich so viel von mir erzählt – sag doch mal, wie findest du mich eigentlich?
Was wir dabei vergessen: Kennenlernen ist doch keine Bewerbung. Warum verhalten wir uns dann aber so, als wären wir in unserem eigenen Verkaufsgespräch? Die Welt da draußen ist kein ewiges Kräftemessen – auch, wenn unsere Eltern uns das ständig gesagt haben. Die waren doch eigentlich nur besorgt, dass wir keinen anständigen Job bekommen, wenn wir Andere nicht von uns überzeugen und auch selbst nicht von uns überzeugt sind. Nun ja, so richtig überzeugt sind wir leider auch heute noch nicht, dafür gibt es da draußen viel zu viele Menschen, die mehr machen, es besser machen – und denen wir dank Instagram auch noch dabei zugucken können.
Wenn man uns das alles wegnehmen würde – unsere Geschichten, Lebensläufe, Jobs, Accounts – was wären wir dann eigentlich noch?
Eigentlich sind wir wahnsinnig verunsichert. Und deshalb verstecken wir uns – hinter ziemlich coolen Job, wunderschönen Wohnungen, neuen Klamotten, ausgefallenen Hobbys, tollen Reisen, noch tolleren Erlebnissen und dem ganzen Gerede über uns selbst. Während in unserer Jugend vor allem noch Dinge cool waren, die alle taten, schauen wir jetzt, dass wir irgendetwas finden, was möglichst keiner kennt. Wir wollen uns abgrenzen, es anders machen und machen es dann doch wie alle Anderen. Die Frage ist nur: Wenn man uns das alles wegnehmen würde – unsere Geschichten, Lebensläufe, Jobs, Accounts – was wären wir dann eigentlich noch? Und was würden wir erzählen?
Ja, man hat das Gefühl, Wörter wie "ich", "mich" und "mein" sind noch nie so oft gefallen wie in dieser Zeit – dabei unterscheidet sich das Bewerbungsgespräch eben leider nicht mehr wirklich vom ersten Date. Wir haben verlernt den Verkaufsmodus abzuschalten. Jeder hat mittlerweile ein Blog, eine Website, eine eigene Marke, einen neuen Plan, ein Projekt, einen lückenlosen Lebenslauf, ein Hobby, gute Laune, viel zu tun und vielleicht ja sogar die absolute Selbstverwirklichung. In jedem Fall aber hat heute jeder eine ganze Menge zu erzählen. Über sich selbst.