Ich könnte in die Berge fahren – die Illusion des Ausflugs
Ich gehe nicht mehr aus. Nicht nur, weil München eigentlich keinen guten Club mehr hat, sondern vor allem, weil ich es mittlerweile hasse, wenn mir der nächste Tag mit Auskatern verloren geht. Ich möchte früh wach sein, ich möchte die wenigen, freien Stunden des Wochenendes aktiv miterleben, ich möchte rausfahren. Oder sagen wir besser: Die Möglichkeit haben, rauszufahren. Denn, wenn man es mal zusammenrechnet, bleibe ich an mindestens 40 Wochenenden im Jahr dann doch einfach daheim. So wie die meisten Münchner.
Ich sehe mich schon im Sessellift sitzen, mit den Skiern geschmeidige Bahnen ziehen und danach auf einer Hüttn Spätzle essen.
Das Schöne an dieser Stadt sind vielleicht gar nicht die wirklichen Ausflüge, die man macht – die sind nämlich spätestens dann, wenn die Autobahn Richtung Garmisch am Samstagmorgen mal wieder gesteckt voll ist, weil mit dir eine Million andere Münchner die selbe Idee hatten, oder man beim Ankommen feststellt, dass über dem Umland eine riesige Wolke hängt, während in der Stadt höchster Sonnenschein ist, gar nicht mal so geil – es geht in München eher um die Illusion des Ausflugs. Dieses Man-könnte-wenn-man-wollte.
Auf meiner Liste stehen tausend Orte, die ich irgendwann einmal auf einem Munich and the Mountains-Instagram-Foto gelikt und mir geschworen habe: Da muss ich hin! Wirklich gemacht habe ich allerdings noch nichts davon. Denn die zehn Mal im Jahr, die ich wirklich rausfahre, lande ich dann doch immer an den selben Orten: Im Sommer vor allem am Starnberger See (sechs Mal), dem Wörthsee (zwei Mal) und, weil neuer Liebling, auch mal am Steinsee. Im Winter leider nirgendwo.
Aber dafür genieße ich zumindest in Gedanken das Puderzucker-Bergpanorama in Brauneck, laufe Schlittschuh am Nymphenburger Kanal und bin Rodeln am Tegernsee. Ich sehe mich schon im Sessellift sitzen, mit den Skiern geschmeidige Bahnen ziehen und danach auf einer Hüttn Spätzle essen. Und irgendwann lassen mich die vielen Winter-Instagram-Bilder wirklich glauben, dass ich da war. Was nun Illusion und was Wirklichkeit ist, vermischt sich in meinem Kopf.
Das Münchner Umland ist wie ein Fitnessstudio-Vertrag. Es reicht schon das Gefühl, dass man die Möglichkeit hätte und man fühlt sich besser.
Das Schlimmste an uns ist ja: Obwohl sich der Münchner selbst nichts Neues im Umland ansieht, wird er trotzdem nicht müde, den Besuch dann von Ausflug zu Ausflug zu schicken. Die armen Freunde, die aus England da sind, werden so genötigt, Walchensee, Neuschwanstein und Kloster Andechs an einem Tag zu machen – "Da waren wir zwar selbst noch nie, aber soll geil sein! Musst du dir anschauen."
Es ist aber auch ein echter Freizeitstress, den die Münchner hier mit ihrem Umland haben würden, wenn sie denn alles ausprobieren. Wer versucht, jedes Wochenende an einem anderen Ort zu wandern, zu spazieren, einzukehren, Ski zu fahren, in Seen zu springen und Ausblicke zu genießen, der wird feststellen: Man schlittert schnell einmal einem Outdoor-Burn-Out entgegen.
Das können wir uns nicht leisten – dafür arbeiten wir die Woche über schon genug, um uns irgendwie das Leben hier leisten zu können. Außerdem passt das auch nicht zu unserem gemütlichen Image, das wir gerne hätte. Also nehmen wir es hin, wie es ist: Das Münchner Umland ist wie ein Fitnessstudio-Vertrag. Es reicht schon das Gefühl, dass man die Möglichkeit hätte und man fühlt sich besser. So steckt meine Fitness-Karte brav im Geldbeutel und die Wanderschuhe stehen brav im Schrank.