Goodbye, München! – Eine Abrechnung nach 20 Jahren Hassliebe
Goodbye München, hallo Markt Indersdorf! Hallo Markt was? Ich habe es gewagt! Nach gut 20 Jahren verlasse ich die Weißwurst-Hauptstadt und ziehe mit meiner kleinen Familie aufs Land. Eine Ära geht zu Ende. Ob ich traurig bin? Jein!
Ich war 15 als ich nach München zog. Davor lebte ich unter anderem in Budapest. München kam mir im Gegensatz dazu vor, wie ein kleines sauberes Kaff. Selbst viele Jahre später änderte sich diese Wahrnehmung nicht. Ich empfand München schon immer als winzige Stadt, ein Kuhdorf, in dem man ständig, wirklich ständig jemandem über den Weg läuft, den man kennt. Es ist alles so gesittet, so schrecklich ordentlich. Als ich mit 19 von Zuhause auszog, hatte ich mir große Pläne ausgemalt – London oder Berlin, Hauptsache groß, laut und alternativ. Doch die Liebe funkte dazwischen und ich blieb hier.
München, wo sind deine abgefuckten Kneipen?
Wo sind deine coolen Clubs, in die auch mal uncoole Erdbewohner*innen einfach so eintreten dürfen ohne vom Türsteher erniedrigt zu werden? Da gab es damals das Atomic Café. Cooler Club, gute Musik, ich mochte die Leute. Trotzdem dieses Affentheater an der Tür. Selbst, wenn man als weiblicher Dauergast verschont wurde vom Schlangestehen, so passierte es oft genug, wenn ich mal mehrere Leute – Gott bewahre ausländische Tourist*innen – im Schlepptau hatte, hieß es “Sorry, nur Stammgäste”. Fuck you.
Die Favorit Bar war einmal meine favorisierte Bar. Bis ich dann an einem Samstag vom Türsteher (Ja, sogar Bars haben hier Türsteher!) zu hören bekam “Sorry, nur Stammgäste”. Fuck you. Irgendwann beschloss ich innerlich, dass München und ich ausgehmäßig keinen Sinn machten. Wenn ich coole Clubs oder Bars besuchen möchte, muss ich eben nach London oder Budapest oder Berlin fahren. Passt scho!
Irgendwann merkte ich: In München haben sogar Bars einen Türsteher!
Du und deine teuren Wohnungen!
Ich bewohnte in einem Zeitraum von 20 Jahren acht verschiedene Wohnungen in sechs verschiedenen Stadtvierteln. Wahre Liebe fand ich dann in Untergiesing. Doch alles begann in Bogenhausen, am Herzogpark. Vom dreckigen, rauen Budapest ab in das Münchner Bonzenviertel. Unsere Nachbarn waren Klinsmann und andere Münchner Prominente, die ich damals (und heute) noch nicht kannte, sie schienen aber alle den selben Schönheitschirurgen zu haben.
Nach vier Jahren verließ ich das Familiennest und zog in meine erste eigene “Wohnung”, aufgrund der Größe in Anführungszeichen. Das Viertel nannte sich immer noch Bogenhausen, aber mit dem Herzogpark hatte es nicht mehr viel zu tun: Der Leuchtenbergring und die zu jeder Uhrzeit gut befahrene Einsteinstraße bildeten meine Geräuschkulisse für die nächsten 12 Monate. Ich wollte abgefuckt, ich bekam abgefuckt.
20 Quadratmeter, Erdgeschoss, kein Balkon. Wenn ich das Fenster öffnete, verstand ich den Fernseher nicht mehr und atmete Smog ein. Mein Bad roch immer nach Curry, egal wieviel Parfüm ich in die Luft sprühte. Meine netten Nachbarn mochten Currys kochen und in den Hausflur lüften. Verständlich, angesichts der Frischluftsituation auf der Einsteinstraße Ecke Leuchtenbergring. Das Ganze kostete damals schon im Jahr 2000 satte 650 Mark. Für 325 Euro bekommt man heute wahrscheinlich nicht mal mehr ein Zehn-Quadratmeter-Zimmer, viel Geld war es aber trotzdem.
Ich weiß nicht mehr, was schlimmer war – die ständigen, lauten Durchsagen der MVG in aller Herrgottsfrühe oder der ausgeprägte Nestbau der fliegenden Ratten auf meinem Balkon.
Von Bogenhausens dreckigster Ecke zog ich in eine Altbauwohnung ins Glockenbachviertel. Das Baadercafé war mein zweites Wohnzimmer – schön war's! Und teuer war's. Angepasst an die jeweilige finanzielle und private Situation, zog ich umher zwischen Glockenbach, Maxvorstadt, Schwabing, Haidhausen und schließlich Untergiesing.
Zugegeben, Haidhausen – gleich beim Wiener Platz – war schon das Highlight meiner bisherigen Münchner-Kindl-Laufbahn. Wunderschöne Häuser, super zentral, Isarstrand vor der Tür, Muffathalle in Torkelnähe. Wäre da nicht die Trambahn gewesen. Und die Tauben auf meinem Balkon. Ich weiß nicht mehr, was schlimmer war – die ständigen, lauten Durchsagen der MVG in aller Herrgottsfrühe oder der ausgeprägte Nestbau der fliegenden Ratten auf meinem Balkon.
Grün, sauber, ruhig, sicher!
Als ich dann mit meinem heutigen Mann und Vater meiner Tochter zusammenzog, landeten wir einen wahren Münchner Jackpot. Dreizimmerwohnung, netter Vermieter, bezahlbare Miete, Isarauen praktisch vor der Haustür und als Bonus: ein Garten! Fünf Jahre lang fühlte ich mich richtig wohl in München. Metropol-Gelüste nach London, Berlin und New York schwanden dahin. Meine Dreißiger und ein Hund lehrten mich München für das wertzuschätzen, was es ist und kann: grün, sauber, ruhig, sicher.
Als sich auch noch ein Kind zu meinem Glück gesellte, war ich froh über die Bequemlichkeiten, die München einer Mama mit Kinderwagen bieten konnte. Danke liebe MVG, du hast zwar eine laute Straßenbahn, aber auch Rolltreppen und Lifte an allen U-Bahn- und S-Bahn-Stationen!
Meine Dreißiger und ein Hund lehrten mich München für das wertzuschätzen, was es ist und kann: grün, sauber, ruhig, sicher.
Endlich kann ich mich auf dich freuen!
In jeder Liebesbeziehung folgt auf ein Hoch ein Tief. So muss ich schließlich mit dir Schluss machen, liebes München. Auf dem Land gibt es drei Mal so viel Wohnraum für den gleichen Preis. Mit Kind, Hund, Mann und zahlreichen Besuchen von der Verwandtschaft fühlten sich auch drei Zimmer irgendwann wie eine Gefängniszelle an. Und das Dauerrauschen des Mittleren Rings bis in unseren Garten, konnte ich meinem Unterbewusstsein nach fünf Jahren nicht mehr als Meeresrauschen verkaufen.
Doch unsere Trennung hat auch etwas Gutes: Endlich kann ich mich auf dich freuen. Wir sehen uns nur ein bis zwei Mal die Woche und ich empfinde tatsächlich so etwas wie Glücksgefühle, wenn ich durch deine Straßen schlendere, am Viktualienmarkt den besten Halloumi-Teller bestelle, deine schick gekleideten Anwohner*innen in einem der vielen Cafés beobachte. Und wenn ich genug habe, kehre ich heim nach Markt Indersdorf, hüpfe durch unsere vielen Zimmer und gehe mit meinem Hund und meiner Tochter auf einem der vielen weiten Felder spazieren. Ein bisschen Abstand tut uns gut, liebes München. So bleiben wir vielleicht für immer Freunde.