Die Flucht auf's Land: Warum mir München manchmal zu viel ist

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Manchmal habe ich so Wochenendtage, da strengt mich München einfach nur furchtbar an. Da möchte ich mich nicht schminken müssen, um frühstücken zu gehen. Mir nicht irgendetwas anziehen, was so aussieht, als hätte ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht, dabei habe ich das natürlich schon. Ich möchte nicht mit den perfekt gepuderten Schwabing-Girls beim Brunch im Waldmeister sitzen und danach mit einer Millionen gut aussehender Menschen meinen obligatorischen Isarspaziergang machen, während mir ein paar Jogger auf die Füße treten.

München ist das blonde Blogger-Girl unter den deutschen Städten, das immer die perfekten Beach Waves und die healthy Acai Bowl vor sich hat.

Wenn deutsche Großstädte Instagrammer wären, dann wäre München das blonde, supersportliche Blogger-Girl, das immer die perfekten Beach Waves und die healthy Acai Bowl vor sich hat. München, was ist nur mit dir – wie schaffst du es, immer so perfekt zu sein? Hast du nicht auch manchmal Tage, an denen du einfach nur sein willst? An denen du ungeschminkt und im Kuschel-Pullover das Haus verlassen, dir keine Gedanken um irgendetwas machen möchtest, nicht immer in der Angst, man könnte ja jemanden treffen?

Also ich habe diese Tage – fast jedes Wochenende. Wenn ich die ganze Woche von dieser perfekten Stadt und ihren perfekten Bewohnern umgeben bin, dann möchte ich ein Mal in sieben Tagen einfach nur sein dürfen. Und das bedeutet für mich nicht zwischen Reichenbach- und Wittelsbacherbrücke in der Sonne begutachtet werden, mich nicht durch die Kaufingerstraße drücken und auch nicht auf vierzig Zentimeter Rasen am Gärtnerplatz darauf warten, dass ich zufällig jemanden treffe, den ich kenne. "Hey, na wie gehts", "Alles super! Und bei dir?".

Im Cotidiano frühstückt man dann am besten nur mit jemandem, dem man sowieso nicht zuhören möchte. Man versteht ihn eh nicht.

Denn die Sache ist doch: Spätestens, wenn das Wetter gut wird, fällt einem erst einmal wieder auf, wie klein München eigentlich ist. Alle Plätze, an denen man sich in der Stadt so aufhalten kann, will und sollte, sind bei Sonnenschein dermaßen voll, ausreserviert und laut, dass es mir zumindest keinen Spaß mehr macht. Den Anderen anscheinend schon. Auf dem Flohmarkt wie auf einem Festival keinen Handyempfang mehr haben und im Biergarten eine Stunde auf die erste Maß warten. No thanks. Und im Cotidiano frühstückt man dann am besten nur mit jemandem, dem man sowieso nicht zuhören möchte. Man versteht ihn eh nicht.

Und genau das sind so Samstage und Sonntage, an denen ich raus muss. An denen ich sowohl mir, als auch der Stadt einen großen Gefallen tue, wenn ich nach Hinterniederding fahre und einfach gehe, gucke und bin. Es genieße, wenn die wenigen Leute dort einfach Eis essen – und zwar nicht die Premium-Grand-Cru-Schokolade von Del Fiore, sondern stinknormales Stracciatella. Wenn ich im letzten Pullover zum Italiener gehen kann (ohne Reservierung!) und mich niemand deswegen anguckt, weil jeder im letzten Pullover da ist  – und ich dann dort die Wahl zwischen einer simplen Thunfisch oder Vegetaria-Pizza habe. Was braucht es eigentlich auch mehr?

Ich genieße es, wenn die Leute einfach Eis essen – und zwar nicht die Premium-Grand-Cru-Schokolade vom Del Fiore, sondern stinknormales Stracciatella.

Nun könnte man sagen: Dann zieh' doch aufs Land, wenn dort alles so geil ruhig und  bodenständig ist. Aber das wäre nicht die Lösung des Problems – denn nicht nur, dass ich wahnsinnig gerne in der Stadt lebe, es liebe alles zu Fuß machen zu können und auf Dauer mehr als einen Italiener zur Auswahl haben möchte – die Landflucht funktioniert auch nur deshalb so gut, weil ich dort eine Anonymität genieße, wie es sonst die Landmenschen in München tun. In Hinterniederding kennt mich niemand und rätselt danach auch nicht darüber, mit welchem Typen ich da wohl wieder durch den Stadtpark gelaufen bin.

Die Landflucht funktioniert, weil ich nach dem Italiener nicht in mein Segmüller-Reihenhaus mit Buddha-Statue im Eingang fahre, sondern zurück in mein geliebtes, perfektes München, dessen Perfektion ich ja die meiste Zeit auch über alles liebe. Mein München, das größte Dorf von allen, von dem ich eben hin und wieder ein bisschen Abstand brauche – und das sich bei meiner Rückkehr am Sonntagabend schon wieder ein wenig beruhigt hat. Auch, wenn man im Biergarten natürlich keinen Platz mehr bekommt, aber mei. Man kann eben nicht alles haben.

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