NeuLand: Die Münchner Zeitung von und mit Geflüchteten

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Vergangenen Sommer erreichten Tausende von geflohenen Menschen München. Die Medienlandschaft war voll mit Bildern von ertrunkenen Kindern, der gefährlichen Flucht und überfüllten Schlauchbooten. Von einem zerstörten Aleppo.

Täglich begegnete Susanne Brandl den Menschen, die eine gefährliche Flucht hinter sich hatten – in der Zeitung und in der Stadt. Wenn sie den neu angekommenen Menschen in der U-Bahn gegenüber saß, bemerkte Brandl, wie wenig sie darüber weiß, was die Neuankömmlinge eigentlich über die Menschen, die deutsche Gesellschaft, die fremde Umgebung und Umgangsformen denken mögen. Also gründete die 29-Jährige mit ein paar Freunden die Zeitung NeuLand: eine Plattform auf der die Geflüchteten selbst ungefiltert berichten können.

"Flüchtlinge werden immer in einem Opfer-Kontext in den Medien dargestellt", sagt Brandl, die selbst als Journalistin arbeitet. "Doch wie soll ein Mensch, der in der Gesellschaft nur als Opfer wahrgenommen wird, ein selbstbewusster Akteur des Zusammenlebens werden?" Die Menschen sollen als Bürger, als Individuen agieren – dafür muss es einen Raum geben. Schnell konnte Brandl Freunde und Bekannte von ihrem Konzept überzeugen und der Verein NeuLand war geboren. Finanziert wird das Projekt von Spenden.

Doch wie soll ein Mensch, der in der Gesellschaft nur als Opfer wahrgenommen wird, ein selbstbewusster Akteur des Zusammenlebens werden?
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Inzwischen hat NeuLand mehr als 25 Mitglieder, die den circa fünfzehn Autoren aus den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens, des vorderasisatischen Raums und Afrika bei ihren Texten mit Übersetzungen und Ratschlägen behilflich sind.

Außerdem den dazugehörigen Blog betreuen, die Zeitung layouten und produzieren, Spenden generieren und regelmäßig Treffen mit den Autoren organisieren. Bereits die dritte Ausgabe liegt in verschiedenen Universitäten, Volkshochschulen, Bibliotheken und Cafés kostenlos zum Mitnehmen aus, auf der Website kann man das Heft außerdem als PDF herunterladen. Die Themen werden von den Verfassern selbst ausgesucht.

Interkulturelle Liebesbeziehungen und Deutsch lernen in der Bayernkaserne

Eine der Autoren ist Lillian Ikulumet. In ihrem Heimatland Uganda hat sie als Journalistin gearbeitet. In einer Ausgabe schreibt sie von Schwierigkeiten in interkulturellen Liebesbeziehungen. Mit viel Witz beschreibt sie Situationen, die sie mit ihrem damaligen Freund aus Deutschland hatte. Ob Pünktlichkeit bei Verabredungen, Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit oder unterschiedliche Vorlieben beim Essen – die unterschiedlichen Kulturen sorgten für hitzige Diskussionen und komische Momente.

In seinem Artikel "Warten, essen, schlafen" beschreibt der Medizinstudent Adnan Albash seine Ankunft in Deutschland und die Schwierigkeiten einen Deutschkurs zu finden. Tagelang verbrachte der junge Palästinenser, der in Syrien geboren worden ist, an Bahnhöfen, Polizeistationen oder Flüchtlingsunterkünften und wartete. In Syrien hat Albash Medizin studiert. Er will sein Studium weiterführen – doch dafür muss er Deutsch lernen.

Eine Sprachschule gab es nicht in der Unterkunft für 200 Flüchtlinge in der Nähe von Deggendorf. Also wartete Albash wieder. Zurück in München konnte er bei der Kleiderkammer der Bayernkaserne aushelfen. Froh, endlich etwas tun zu können, lernte er von den Mitarbeitern jeden Tag etwas mehr Deutsch. "Das hat mir sehr geholfen, aber man braucht immer eine Schule und Lehrer, um eine ganz neue und schwierige Sprache zu lernen", schreibt Albash in seinem Artikel. Und wartet wieder: auf die Zusage der Universität sein Medizinstudium hier weiterzuführen.

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Von dem schmerzlichen Abschied von seiner Familie in Syrien schreibt Fadi Aswdah. Vor zwei Jahren nimmt er die gefährliche Flucht in einem Schlauchboot von Syrien über den Libanon in die Türkei auf sich. Zurück lässt er seine Ehefrau und seinen kleinen Sohn:

"Im Boot bin ich vom Sitz aufgestanden und habe beobachtet, wie wir uns langsam von den Ufern des Hafens entfernen, zurückblickend auf den Ort, an dem ich mein Magisterstudium angefangen habe, ohne es beenden zu können, durch den Krieg und mit ihm der Verfall der syrischen Währung. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und habe angefangen zu weinen. Zur selben Zeit wurden die Wellen auf dem Meer immer höher und das kleine Boot schwankte hin und her. Ich begann einen inneren Monolog und die Erinnerungen haben mich überwältigt. Das schmerzlichste von allem war der Abschiedskuss für meinen kleinen Sohn, während er schlief, wann ich ihn wiedersehen würde und dies wieder tun kann. Wenn mein kleiner Sohn morgen früh aufwacht und mich nicht findet wird er wohl seine Mutter verwirrt fragen: Wo ist Vater? Ich wusste, wie schwer es meiner Ehefrau fallen muss, eine passende Antwort für meinen kleinen Sohn zu finden. Traurigerweise hat diese Art der Frage, auf die man keine Antwort weiß, im Leben des syrischen Volkes zugenommen und wurden sogar zur ihrer Kultur und Tradition! Darum musste meine Frau lügen. Bis heute habe ich meine Frau nicht gefragt, was ihre Antwort gewesen ist, denn ich will nicht noch mehr Lügen und Tränen hinzufügen."

Fehlende Zähne und fehlende Pressefreiheit

In der aktuellen Ausgabe schreibt Medizinstudent Albash von seinen Erinnerungen, die durch die Bilder und Ereignisse des Amoklaufs im OEZ im Sommer angeregt worden sind. Lillian Ikulumet widmet sich wieder einem gesellschaftlichen Thema: dieses Mal von der Herausforderung von verschiedenen Nationalitäten unter einem Dach. James Tugume schreibt von abgebrochenen Zähnen und der Krankenversicherung in Deutschland, Dawit von der fehlenden Pressefreiheit und Asef Naderi von Korruption beim Busfahren.

Weitere Autoren ermöglichen mit ihren Texten Einblick in ihre Gedanken und Gefühle. Die dritte Ausgabe der NeuLand-Zeitung ist bereits doppelt so umfangreich wie die erste Ausgabe, die im April 2016 erschienen ist.

"Ich dachte mir, die deutsche Gesellschaft muss etwas von den Menschen wissen, die zu uns kommen, damit keine Distanz und Angst vor Fremden sondern Nähe und ein friedliches Miteinander entstehen kann", sagt Brandl. Damit trifft sie auf viel Zustimmung und Lob.

Ihr Wunsch für NeuLand im neuen Jahr ist, dass die Autoren die Zeitung selbst leiten. Noch sei das nicht möglich. Wer das Projekt NeuLand unterstützen möchte oder bei dem ehrenamtlichen Verein aktiv werden möchte, findet mehr Informationen auf der Facebookseite des Vereins.

Die deutsche Gesellschaft muss etwas von den Menschen wissen, die zu uns kommen, damit keine Distanz und Angst vor Fremden sondern Nähe und ein friedliches Miteinander entstehen kann.
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