Warum zur Hölle würde man im Vorort wohnen wollen?
In Print-Zeitschriften gehört es dazu, dass der Herausgeber auf der ersten Seite die Stimmung, Meinung oder Richtung der jeweiligen Ausgabe einfängt. Warum gibt es das auch nicht online?, haben wir uns gefragt. Denn genauso schwirren jede Woche Gefühle, Stimmungen und Meinungen durch München, die wir zwar mitbekommen, aber nirgends festhalten. In dieser Kolumne ist Platz, um all meine Gedanken zu München und dem, was mir in der Stadt begegnet ist, zu sammeln. In dieser Woche: Ich brauche Infrastruktur, um zu überleben.
Am Sonntagabend fuhr ich nach Planegg zu einem Geburtstagsessen. Mit Wartezeit, U-Bahn-Verzögerung und "wie verdammt lange fährt man eigentlich von Laim nach Pasing?" brauchte ich geschlagene 70 Minuten. In der Zeit sind andere in Augsburg oder auf halber Strecke Richtung Brenner unterwegs. Ich kam an, machte im wahrsten Sinne drei Kreuze und war einmal mehr froh, dass ich so eine Strecke nicht jeden Tag fahren muss. Klar, manche sind gezwungen in Planegg zu wohnen, weil die Wohnungen dort (nehme ich einmal an) günstiger sind, andere ziehen dagegen freiwillig hier her– und ich kann es beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Ich verstehe das Landleben – so wie ich auch das Stadtleben verstehe, aber das Leben in Vororten irgendwo dazwischen ist mir ein einziges Rätsel.
Ich verstehe das Landleben – so wie ich auch das Stadtleben verstehe, aber das Leben in Vororten irgendwo dazwischen ist mir ein einziges Rätsel. Das ich mir letztens auch von meiner Freundin T. zu erklären versuchte, die in der Lerchenau wohnt. Die Lerchenau ist zwar nicht ganz so weit weg wie Planegg – U-Bahn-Anschluss in der Nähe und so – aber vom Prinzip her doch recht ähnlich, denn alle Betroffenen, mein Papa inklusive, berichten darüber, wie toll es doch wäre, "in der Stadt zu wohnen und trotzdem seine Ruhe zu haben". Die Betonung liegt dabei auf "in", denn für mich ist weder die Lerchenau noch Planegg "die Stadt" – und ich hoffe, dass ich dabei nicht überheblich klinge.
In der Stadt wohnen und dabei seine Ruhe haben, das wäre ein Slogan, der zu Vierteln wie Giesing passt. Oder Sendling, wenn nicht gerade Wiesn ist. Oder Schwabing-West. Oder oder oder. Ich wette, wenn ich meine Freundin T. oder meinen Papa in den Rosengarten mitnehmen würde, wären sie sehr überrascht, über die Ruhe, die man (abgesehen von den Bahngleisen) sogar im ersten MVG-Ring genießen kann. Sicherlich ist es anders hier und ich stolpere nicht von der Terrasse in meinen eigenen Garten, aber dafür gehe ich aus der Türe und es passiert etwas, wenn ich das denn möchte.
Lieber ein Zimmer im Mittleren Ring, als zwei Zimmer im Vorort.
Der Slogan für Vororte wäre also dagegen: "Jeden Tag ganz schön weit fahren, keine Infrastruktur haben, aber dafür einen Vorgarten." Vielleicht liegt es daran, dass ich in der Stadt aufgewachsen bin und dieses leere Nichts zwischen S-Bahn-Station, einem Rossmann und einer Sparkassen-Filiale schlichtweg nicht kenne – auf der anderen Seite bin ich auch nicht auf dem tiefsten Land aufgewachsen und kann die Schönheit und Lebensqualität dort sehr gut nachvollziehen.
Sei es, wie es sei – ich schwor mir auf jeden Fall an diesem Sonntagabend: Solange ich kein Kind habe, das mehr Auslauf als die Isar braucht, solange ich meine große Liebe nicht in Planegg kennenlerne und solange ich zumindest noch so viel Geld verdiene (Hallo, Medienberuf!), dass ich mir eine Mini-Wohnung in der Stadt leisten kann, werde ich den Preis dafür auch gerne zahlen. Lieber ein Zimmer im Mittleren Ring, als zwei Zimmer im Vorort. Weil aus der Türe gehen und irgendetwas (Menschen, Restaurants, Parks) vorfinden unbezahlbar ist. Weil ich ohne das nicht leben kann. Und falls eines Tages doch, dann ziehe ich zumindest gleich ganz raus.