Ein Magnet aus Licht und Farbe: Die ungewisse Zukunft des Märchenbazars

Ein matschiger Weg vorbei an besprayten Backsteinwänden und Absperrzäunen führt zum festlichen Eingangstor dieses bunt-leuchtenden Ortes. Wir befinden uns in der Münchner Innenstadt – genauer gesagt auf dem Viehhof nahe der Poccistraße. Hier findet zum inzwischen dritten Mal der Märchenbazar des Wannda e.V. statt. Aber die Zukunft des Bazars ist ungewiss.

Auf dem Märchenbazar sucht man erst mal vergebens nach den klassischen Anzeichen eines Weihnachtsmarktes – vom Glühwein mal abgesehen. Hier spielen Kinder unter Discokugeln, aus dem Zirkuszelt nebenan schallt „Wild Horses“ von den Rolling Stones, live gespielt von einer Band aus der Nachbarschaft. Neben Linsensuppe und Bratwurst kann man auch Falafel, veganen Döner und Curry kaufen.

Vom urbayerischen Rentner über die Familie aus der Nachbarschaft bis zum australischen Touristen findet man alles

Es gibt einen Tauschladen, Klamotten, die Münchner Designer zusammen mit Geflüchteten hergestellt haben, nachhaltige Geschenkebuden, ein Kinderprogramm, Livemusik. Und: extrem detailverliebte Dekoration – in jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken. Das Publikum ist durchmischt: Vom urbayerischen Rentner über die Familie aus der Nachbarschaft bis zum australischen Touristen findet man alles. Hier werden Dinge anders gemacht – und das kommt gut an.

Märchenbazar Viehhof
© Wannda e.V.

Aber die Zukunft des Wintermarktes steht in den Sternen: 2018 wird auf dem Viehhofgelände das neue Volkstheater gebaut. Brache Flächen in der Stadt sind rar und die Suche nach einem passenden Gelände wird immer schwieriger: Denn München wird eng und der Wannda e.V. ist von der Stadtpolitik abhängig.

Ungenützten Flächen wird Leben eingehaucht

Julian Hahn ist seit 5 Jahren in die Projekte von Wannda involviert. Zusammen mit seinen beiden Brüdern und Freunden aus der Schule hat er den Verein damals gegründet. Er selbst betreibt neben den Wannda-Projekten auch sein eigenes Café, das „Gans am Wasser“ im Westpark – mit gerade mal 25 Jahren.

Sein älterer Bruder, Daniel Hahn, organisiert den Club „Bahnwärter Thiel“, der bis vor Kurzem auch auf dem Viehhof ansässig war. Außerdem sorgte er im vergangenen Jahr mit der Platzierung eines alten Ausflugsdampfers, der „MS Utting“, auf einer ausrangierten Bahnbrücke in Sendling für Aufsehen. Es wird deutlich: Bei allen Projekten, die dem Wannda entspringen, gilt das Ziel, nicht genutzte Flächen in München mit Leben zu füllen.

Julian sitzt in einem der drei Zirkuszelte des Märchenbazars in einer Sofa-Ecke, das Walky-Talky immer am Ohr, und trinkt ein alkoholfreies Bier. „Das ‚Wandern‘ war schon immer Teil unseres Konzeptes“, sagt er. „Dahinter steht der Leitsatz ‚Wenn nicht jetzt, wannda’nn‘: Also in kürzester Zeit und mit wenigen Mitteln etwas Großes schaffen“.

Inzwischen sind die Projekte von Wannda – vor allem der Märchenbazar, das Kulturfestival und der „Wannda-Circus“ in Freimann – immer mehr gewachsen und fester Bestandteil der Münchner Kulturszenerie geworden. Die Organisation der Events nimmt immer mehr Zeit in Anspruch – und das ständige „Wandern“ erschwert die Arbeit des Vereins extrem. Eigentlich muss dringend ein fester Standort her.

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Es gibt bestimmte Bereiche der Stadtverwaltung, die uns unterstützen und solche, die es nicht tun.

Mit dem Viehhof fällt im kommenden Jahr die letzte, wirklich große Brachfläche in der Münchner Innenstadt weg. Der „Bahnwärter Thiel“ immerhin konnte jetzt zum ersten Mal einen festen Vertrag ergattern: Fünf Jahre lang darf der Club in einer anderen Ecke des Viehhofs bleiben – aber genug Platz für den Märchenbazar ist dort nicht. „Das ist für uns ein ziemliches Desaster“, sagt Julian. „Aber wir wussten, dass das früher oder später passieren würde.“

Also wird jetzt wieder nach Zwischenlösungen gesucht – aber die hängen von unberechenbaren Faktoren ab. „Es gibt bestimmte Bereiche der Stadtverwaltung, die uns unterstützen und solche, die es nicht tun. Den meisten gefällt’s aber und viele Leute engagieren sich für uns. Sobald aber ein Politikwechsel kommt, haben wir ein Problem. Es bewegt sich immer alles auf sehr dünnem Eis.“ Für die Open-Airs und das Kulturfestival sind zumindest für das kommende Jahr Lösungen in Sicht – aber die Zukunft des Märchenbazars liegt im Dunkeln.

Der Wannda-Kosmos ist für viele wie eine Familie

Leonie und Sarah sitzen auf bunten Kissen im „Heißen Genuss“ – einer der knapp vierzig selbstgezimmerten Buden des Märchenbazars – und sagen beide, dass sie ohne Wannda gar nicht mehr in München wären. Sie arbeiten auf dem Märchenbazar. „Ich bin hier geboren, aber irgendwann mochte ich München nicht mehr, weil es so eintönig war“, sagt Sarah.

Sie arbeitet seit zweieinhalb Jahren bei Wannda mit, macht Dekoration, arbeitet am Kaffeestand des Märchenbazars und verkauft ihre eigenen Klamotten am Kreativstand. „Mir hat genau sowas gefehlt: Ein Ort, an dem man sich ausleben kann – und wo Menschen aufeinander zugehen. Das Wannda ist wie eine Familie für mich – der Magnet, an dem alles zusammenläuft.“

Leonie – sie arbeitet im zweiten Jahr am Feuerzangenbowle-Stand und im „Gans am Wasser“ – kommt ursprünglich aus Dortmund. Sie kam im letzten Jahr für ein Praktikum nach München und wollte eigentlich längst wieder im Ruhrgebiet sein. „Ohne Wannda wär ich nicht mehr hier“, sagt sie und dreht sich eine Zigarette. „Ich hab' immer gesagt, dass ich München überhaupt nicht mag, aber seit ich hier angefangen habe, bin ich kleben geblieben. Ich hab’ einen Kreis von Leuten gefunden, mit denen ich einfach länger zusammenarbeiten will. Das ist keine typische Arbeitsatmosphäre hier – Geld verdienen passiert nebenbei.“

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Dass Projekte wie die von Wannda in München so rar gesät sind, liegt laut Sarah nicht an der fehlenden Nachfrage. „München hat sehr viel Potenzial in Hinsicht auf alternative Ideen“, sagt sie. „Die Menschen haben Interesse daran, aus dem grauen Alltag herauszukommen.“

Sie scheint Recht zu haben, denn inzwischen – es ist acht Uhr abends – ist das Gelände rappelvoll. „Was es so schwierig macht, sind die Umstände – der fehlende Platz, die strengen Regelungen“, sagt Sarah. Auch in Zukunft wird es nicht leichter für Wannda. „Deswegen sollten wir es erst Recht machen: Überall Licht und Farbe verbreiten“, sagt sie und lacht.

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Der Märchenbazar braucht definitiv einen festen Platz, sonst hat er keine Zukunft.

In einem der Zelte spielt Theo, knapp zwei Jahre alt, an einer Werkbank – vor einem alten Kinderkarussell, das zur Bar umfunktioniert wurde. Im Hintergrund läuft seichter Elektro. Seine Mutter Nicky kommt oft mit ihm her. „Ihm gefällt’s!“, sagt sie. Sie kommen aus der Nachbarschaft. „Wir sind ganz traurig, dass der Märchenbazar hier nicht mehr stattfinden kann. Hier ist eine ganz spezielle Atmosphäre und es ist toll für Kinder.“

Es ist unwahrscheinlich, dass Wannda und der Märchenbazar bald aufhören können, zu „wandern“ – und das immer weiter raus aus dem Stadtzentrum. Alternative Nutzungskonzepte müssen her, um den Projekten des Vereins in dieser von Gentrifizierung geplagten Stadt eine Zukunft zu bieten.

„Wir sind auf die Zusammenarbeit mit der Stadt angewiesen – und darauf, dass uns ungenutzte Areale zugestanden werden“, sagt Julian und nippt an seinem Bier, als sein Walky-Talky anfängt, zu knacksen. „Der Märchenbazar braucht definitiv einen festen Platz, sonst hat er keine Zukunft“, sagt er und verabschiedet sich. Es gibt einiges zu tun.

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