Von Neukölln nach Untergiesing: Bayern und das bayerische Bier

© Anna Rupprecht

Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.

Ich tu’ mich extrem schwer mit Patriotismus jeder Art. Das liegt vor allem daran, dass es sich mir nicht erschließt, wie man aufgrund von ein paar Ländergrenzen von einem großen Ganzen ausgehen kann, wenn doch die Kultur in Deutschland so unterschiedlich ist. Ein Ostfriese wird in Niederbayern genauso wenig Heimatgefühle verspüren wie ein Kreuzberger im saarländischen Outback.

Es gibt da allerdings eine Sache, die Ost und West, Nord und Süd, Stadt und Land, Arm und Reich in Deutschland zu vereinen weiß wie nichts anderes: Bier.

Es gibt da allerdings eine Sache, die Ost und West, Nord und Süd, Stadt und Land, Arm und Reich in Deutschland zu vereinen weiß wie nichts anderes: Bier. Auf Bier können sich alle einigen, Bier eint die Massen! Wie ich allerdings festgestellt habe, ist die Art und Weise, wie man das flüssig’ Brot zu sich nimmt, in Berlin und München sehr unterschiedlich.

Aus Berlin war ich es gewohnt, dass das Bier ganz selbstverständlich, automatisch und massenhaft nebenher vernichtet wird. Das liegt vermutlich auch daran, dass es so verfügbar ist: Durch schätzungsweise 30 Spätis um Umkreis von zwei Kilometern befindet man sich in Berlin beinahe 365 Tage im Jahr im Bier-Mekka. Und es ist billig: Das gute, alte Sternburg – eines der sympathischsten Biere der Welt, gebraut in Leipzig und das absolute Trend-Accesoire Ostdeutschlands – bekommt man in manchen Spätis schon für 60 Cent pro Flasche.

Ungriabig, wie der Bayer sagen würde: Denn in München wird auf die Bequemlichkeit beim Trinken auch sehr viel Wert gelegt.

Es ist also wirklich kein Wunder, dass das Bier ein ständiger und selbstverständlicher Begleiter des Berliner Lifestyles ist: Am Kanal, im Park, an der Straßenecke – oder auf dem Weg von A nach B. Das Konzept des „Weg-Biers“ scheint vor allem Landeiern sehr fremd: Als meine Eltern zum ersten Mal zu Besuch waren und ihnen auffiel, dass gefühlt jede Person in Neukölln ein Bier mit sich herumträgt, war die Empörung groß. „Wieso setzt man sich nicht hin?!“, „Das ist doch total ungemütlich!“.

Ungriabig, wie der Bayer sagen würde: Denn in München wird auf die Bequemlichkeit beim Trinken auch sehr viel Wert gelegt. Im vermutlich Bier-affinsten Bundesland, in dem das Getränk ungefähr denselben Status genießt wie der Herrgott höchstpersönlich, scheint es sehr unschicklich zu sein, ein Bier mal eben nebenher beim Laufen wegzuzischen. Wir kennen’s aus dem Paulanergarten: Hier wird sich gefälligst hingesetzt – am Besten auf eine standesgemäße Bierbank oder an die Isar.

Das Reinheitsgebot ist ungefähr auf einem Level mit dem Grundgesetz und den zehn Geboten – auf Qualität wird Wert gelegt!

Und das Ganze wird zelebiert wie ein kleiner Gottesdienst. Hier ist das Bier noch ein Heiligtum: Das Reinheitsgebot ist ungefähr auf einem Level mit dem Grundgesetz und den zehn Geboten – auf Qualität wird Wert gelegt! Und beim Gedanken, ein Bier für 60 Cent zu kaufen, stellen sich vielen Bayern die Nackenhaare hoch.

Und ich bin hin- und hergerissen: Während mir in Bayern oft die ständige Verfügbarkeit, die günstigen Preise und der nonchalante Umgang mit dem Gebräu fehlen, vermisse ich den griabigen Isar-Biergarten-Vibe in Berlin. Wie so oft könnten sich auch hier gut beide Städte mal eine Scheibe voneinander abschneiden.

Gut, dass es – wie ich schon mal festgestellt habe – einen Ort gibt, der es uns erlaubt, bundesweit auf dieselbe Art und Weise Bier zu uns zu nehmen. Die Eckkneipe, beziehungsweise Boazn: Vielleicht das einzige, deutsche Konzept, für das ich mir ein winziges bisschen Patriotismus abringen kann.

Zurück zur Startseite