Busfahrer-Kolumne #4: Fahren Sie zum Hauptbahnhof?

© Marie Lechner

Busfahrer sind unsichtbar, erzählt uns Julius Klemz, der früher das Café Bald Neu in Untergiesing betrieben hat. Danach hat er sich bei der MVG zum Busfahrer ausbilden lassen, genießt nun die Kontinuität, Sicherheit und den bequemen Fahrersitz des neuen Jobs. Aber natürlich passieren ihm auch immer wieder verrückte, skurrile, traurige und schöne Geschichten. Und die erzählt er von nun an in unserer Busfahrer-Kolumne.

Wir fahren im 59er vom Ackermannbogen nach Giesing. Im Schneckentempo bewegen wir uns vorwärts. Ein ganz normaler, verkehrsreicher Montagnachmittag in den Ferien. Die Klimaanlage arbeitet auf Hochtouren, um die Temperatur in dem brechend vollen Gelenkbus annähernd auf angenehmen 26 Grad zu halten. Es kocht. Würde ich ein Streichholz nach hinten halten, es würde sich sofort entzünden.

Es kocht. Würde ich ein Streichholz nach hinten halten, es würde sich sofort entzünden.

Ich bete, dass der Bus jetzt keine technischen Probleme bekommt oder die Klimaanlage ausfällt. Einfach schön weiterfahren, ja nicht provozieren, keine Angriffsfläche geben, damit hier bloß nichts überkocht. Was eine kaputte Klimaanlage in einem Zug anstellen kann, wissen wir ja. Im Bus kann es nur schlimmer werden, denn im Gegensatz zum ICE bin ich nicht auf Schienen unterwegs und sitze nicht in einem abgeschirmten Lokführer-Abteil. Im Bus herrscht noch echter Menschen-Kontakt.

Die nächste Ampel springt auf Rot. Zwei Autos schaffen es rüber. Wir stehen. Schweiß rinnt. Mein Copilot zeigt zehn Minuten Verspätung an. An der nächsten Haltestelle „Osterwaldstraße“ sehe ich einen Jungen zum Bus rennen und gleich dahinter die sprintende Mutter. Ich warte. Auf die paar Minuten kommt es jetzt auch nicht mehr an.

Wohlwissend, dass das nun in einen nicht enden wollenden Loriot-Sketch ausarten könnte, bitte ich die Frau einzusteigen.

„Würden Sie bitte noch auf meine Mutter warten?“, fragt mich der kleine Junge.
„Fahren Sie zum Hauptbahnhof?“, will seine keuchende Mutter wissen.
„Nein“, erwidere ich.
„Ah ok, dann der Bus auf der anderen Seite, oder?“
„Nein, weder noch, aber sie können mit mir zur Richard-Strauss-Straße fahren und da dann in die U-Bahn steigen.“
„Also fährt der auf der anderen Seite nicht zum Hauptbahnhof?“, fragt sie erneut.
„Nein, kein Bus fährt hier zum Hauptbahnhof, Sie können...“

Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich diese Art von Gespräch schon geführt habe. Wohlwissend, dass das nun in einen nicht enden wollenden Loriot-Sketch ausarten könnte, bitte ich die Frau einzusteigen. Dabei spüre ich, wie mir eine Schweißperle langsam die Stirn hinunter läuft. Als sie meine Nasenspitze erreicht, setzt die Frau zu einer neuen Fragerunde an. Ich atme. Versuche so cool zu bleiben wie die Klimaanlage.

Und dann passiert es. Zuerst ist es nur ein dumpfes Murmeln hinter mir: "Das gibt es einfach nicht. Wofür gibt es heutzutage Handys? Da kann man alles nachschauen. Diese Stadt ist am Überquellen. Ich halte das einfach nicht mehr aus." Als hätte wirklich jemand ein Streichholz hinter mich geworfen, explodiert der Mann im Vierersitz hinter mir: "ICH PLATZ' GLEICH!". Das "platz'" kommt von ganz tief unten. Plötzlich ist es mucksmäuschenstill im Bus. Die Frau schaut kurz verschreckt: "Also, wie war das jetzt? Wie kommen wir jetzt zum Hauptbahnhof?"

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