Von Neukölln nach Untergiesing: Meckern auf hohem Niveau

© Anna Rupprecht

Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.

Servicewüste Deutschland! Ein Satz, so deutsch wie Tennissocken unter Birkenstocks, wie das im-Takt-klatschen zu Pur, wie Badetücher auf Liegestühlen um sieben Uhr morgens. Und ein Satz, der bundesweit besonders gern in Verbindung mit großen Bauvorhaben benutzt wird.

Ernüchternde Erfahrungen wie der Flughafen gehören zum Leben in Berlin wie Spätis und Ampelmänner.

Als ich in grauer Vorzeit, im Jahre 2011, nach Berlin zog, da hätte der Flughafen BER gerade eröffnen sollen. Zur Veranschaulichung: Damals war eine gewisse Adele mit ihrem ersten richtigen Hit in den Charts, das iPhone 4 war gerade auf den Markt gekommen und es lagen noch zwei wundervolle Jahre ganz ohne AfD vor uns. Es waren einfachere Zeiten – aber nicht einfach genug, um dieses monströse Bauvorhaben auch nur im Ansatz in den Griff zu bekommen. Man könnte meinen, es seien die Pyramiden von Gizeh, die da im Berliner Umland erbaut werden sollen, aber: Ernüchternde Erfahrungen wie diese gehören zum Leben in Berlin wie Spätis und Ampelmänner.

Denn es ist bei weitem nicht nur der BER, der der Berliner Bevölkerung in dieser Hinsicht Anlass zum Pöbeln gibt. Auch die Baustellen an der Warschauer Straße oder am Ostkreuz beispielsweise waren da, seit ich denken kann: Beide Orte habe ich noch nie in meinem Leben ohne Kräne gesehen. Wenn die Rolltreppe am S-Bahnhof Neukölln mal lief, dann war man motiviert, Lotto zu spielen – bei so viel Glück. Berlin ist eine einzige Baustelle – und niemand rechnet je damit, dass irgendetwas pünktlich fertig wird.

Umso amüsierter bin ich über das hohe Niveau, mit dem in München über Verzögerungen gemeckert wird.

Ich bin also sozusagen abgehärtet, was Baumaßnahmen betrifft: So schnell bringt mich keine Jahrhundertbaustelle aus dem Konzept. Umso amüsierter bin ich über das hohe Niveau, mit dem in München über Verzögerungen gemeckert wird. Und mit hohem Niveau meine ich auch ein sprachlich hohes Niveau. Mein Lieblingsbeispiel: Der gesperrte S-Bahn-Zugang am Rosenheimer Platz, der im Frühjahr hätte fertig werden sollen. Dort fand eine meiner Freundinnen vor kurzem eine Notiz – feinsäuberlich wütend in Power Point erstellt, in Klarsichtfolie verpackt und mit Klebeband befestigt – die eventuell das Deutscheste ist, was ich je gelesen habe. Ich zitiere:

"Information zur Baustelle Rosenheimer Platz: Geplante Eröffnung Frühjahr 2023. Aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse beim Einbau der Rolltreppe (plötzlicher Schneefall im Winter, erhöhte Temperaturen seit April) haben sich Planabweichungen ergeben, über die wir Sie informieren möchten. Eine Task Force (...) wird die Arbeiten in enger Kooperation mit der Projektleitung des Hauptstadtflughafens BER baldmöglichst wieder aufnehmen." Na dann: Wilkommen im Boot, München!

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