Von Neukölln nach Untergiesing: Die München-Diät

© Anna Rupprecht

Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.

Ich bin ein verwöhntes Balg. Ich stamme aus einem Thermomix-Haushalt. Aufgewachsen mit einer sehr kochwütigen Mutter – und gleich zwei Kühlschränken, die immer komplett übertrieben aus allen Nähten platzen. Am Esstisch fragte mein Onkel mal: “Was? Nur vier Sorten Wurst?“. Diese Kategorie Familie. Ich weiß nicht, ob ich vor meinem 20. Lebensjahr jemals die Angst kannte, nichts Vernünftiges zu essen in Aussicht zu haben.

Jedenfalls war ich nun, ausgestoßen aus dem Vorwerk-Paradies, in einem Land gelandet, in dem Hummus und Ayran fließen.

All das nahm ein jähes Ende, als ich nach Berlin zog. Ich wusste nicht mal, wie man Brokkoli gar bekommt – geschweige denn eine Waschmaschine bedient oder seine Socken unter Kontrolle behält (okay, das hab ich bis heute nicht gelernt). Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls war ich nun, ausgestoßen aus dem Vorwerk-Paradies, in einem Land gelandet, in dem Hummus und Ayran fließen. An der Sonnenallee gibt es eine sagenumwobene Pizzeria, die echt okaye Pizzen für 2,50 Euro das Stück liefert. Wie genau das in Gottes Namen eigentlich möglich ist – ach, wenn ich ehrlich bin, will ich’s gar nicht wissen.

In meiner Straße gab es einen Laden mit Falafelsandwiches für 49 Cent. Einen gigantischer Teller voll mit wahlweise veganem, geilen Zeug, mit dem man einen ganzen Prenzlauer-Berg-Kindergarten artgerecht ernähren könnte, kostete fünf Euro. Mit zehn Euro in der Tasche bist du die Königin des kulinarischen Neuköllns – und dann bleibt noch Geld für genug Sternburg-Bier übrig, damit du dich hinterher auch noch besaufen kannst. Der Dönerladen an meiner Straßenecke hatte 23 Stunden am Tag geöffnet. Muss ich noch ausführen, wie sehr alles eskaliert ist? Selbst mit meinem mickrigen FSJ-Gehalt habe ich es in meinem ersten Jahr in Berlin geschafft, zehn Kilo zuzunehmen.

Verzweifelt versuchte ich meinen Entzug mit Leberkassemmeln zu überbrücken. Als Folge nahm ich innerhalb meiner ersten drei Wochen in München fünf Kilo ab.

Nach einigen Jahren hat es sich dann eingependelt – ein bisschen kochen gelernt hab’ ich auch und eine Waschmaschine kann ich jetzt auch bedienen. Ich denke gerne zurück an den legendären Sommer, in dem ich mich geschätzte vier Monate nur von Schawarma-Sandwich und zwei bis zehn Sternburg am Abend ernährt habe. Ich nenne diese Methode liebevoll die „Sternburg-Diät“. Ich glaube, das war meine Peak Performance. Nie sah ich gesünder aus!

Fast forward zum Oktober letzten Jahres. Ich wohne in Untergiesing. Kulinarischer Kulturschock. Ich war so gewöhnt daran, immer und überall essen zu können, dass ich dauernd vergessen habe einzukaufen. Und stand dann in meiner Wohnung vor dem leeren Kühlschrank, hab meistens mit den Schultern gezuckt und irgendwelche Nudelreste zusammengeschmissen. Mit auswärts essen und den Preisen in München brauch’ ich gar nicht erst anfangen. Verzweifelt versuchte ich meinen Entzug mit Leberkassemmeln zu überbrücken. Als Folge nahm ich innerhalb meiner ersten drei Wochen in München fünf Kilo ab. Einfach nur, weil ich unfähig bin.

An der Tanke Alkohol kaufen? 2009 hat angerufen, es will seine Alkoholbeschaffungsmethode zurück.

Noch schlimmer war es mit Alkohol: Es war sechs Jahre her, dass ich mir Gedanken darum machen musste, wo ich jetzt ein Bier herbekomme. In Neukölln würde der Späti an der Ecke selbst am Tag der Apokalypse geöffnet haben, sodass man sich noch 'ne Kippe drehen kann, wenn sich die Hölle auftut. Vernünftig. In München ist es Samstag, 22 Uhr, und wir sitzen auf dem Trockenen. An der Tanke Alkohol kaufen? 2009 hat angerufen, es will seine Alkoholbeschaffungsmethode zurück. Und doch steh' ich jetzt regelmäßig an der Tanke, und so langsam gewöhne ich mich dran. Und es hat auch sein Gutes: München zwingt mich zur Organisation, zum Kochen – und zum Mitdenken. Und es ist gut für meine Linie. Danke, München!

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