Von Neukölln nach Untergiesing: In München gibt's kaum Kiez-Feeling
Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.
„Was sind denn so die coolen Bezirke in München?“ Das habe ich eine Freundin gefragt, nachdem ich wusste, dass es ernst wird und ich mich auf Wohnungssuche begeben musste. „Is’ wurscht“, hat sie gesagt. „Ist eigentlich überall das gleiche.“
Ich war verwirrt. Wie kann das sein? Aus Berlin war ich es gewohnt, dass dein Bezirk deine ganze Identität ausmacht. Charlottenburg oder Kreuzberg? Wedding oder Prenzlauer Berg? Völlig unterschiedliche Welten. Berlin ist eigentlich keine Stadt, sondern hunderte Städte, die mal mehr, mal weniger nahtlos zu einem großen Multiversum zusammen gewachsen sind. Manchmal geht man nur um eine Straßenecke und findet sich plötzlich in einem Paralleluniversum wieder.
Da kann man noch so sehr gegen Patriotismus jeder Art sein – der Kiez verpflichtet!
Als Neuköllnerin in Charlottenburg kommt man sich beispielsweise vor wie eine Astronautin auf Mars-Expedition: Was sind diese Wesen mit Perlenketten und Pelzkragen und wieso gibt es nirgends Schawarma? Was ist ein Moët und wieso kostet dieser hässliche Kerzenständer im KaDeWe-Schaufenster so viel wie meine Monatsmiete? Da man seinen Kiez sowieso nur verlässt, wenn es gar nicht anders geht, kann sich eine 40-minütige Busfahrt vom Hermannplatz zum Ku’Damm schon mal anfühlen wie ein Wochenend-Städtetrip. Einfach mal was Neues sehen!
Daher kommt vermutlich auch der etwas übertriebene Bezirkspatriotismus der Berliner – und der ist ansteckend. Nach sechs Jahren fand ich mich auch plötzlich mit einem knastmäßigen Neukölln-Tattoo auf dem Arsch wieder, und ein Spaziergang die Sonnenallee herunter macht mich heute sentimentaler als der Tod von Bambis Mutter. Da kann man noch so sehr gegen Patriotismus jeder Art sein – der Kiez verpflichtet!
Irgendwie ist es nirgends in München räudig genug, um es mit Wedding oder Neukölln aufnehmen zu können.
In München läuft das etwas anders. Klar – es gibt auch hier durchaus Unterschiede zwischen den Vierteln. Die Cappuccinomütter aus Haidhausen wären mit ihren Tausend-Euro-Kinderwägen etwas deplatziert in Neuperlach und ein Giesinger Stadion-Veteran rümpft die Nase, wenn er eine Bar im Glockenbach betritt. Dass es auch hier Lokalpatriotismus gibt, zeigen schon allein die „Giesing unregierbar“-Tags an den Hauswänden (steile These, wie ich finde, aber der Spirit zählt).
Trotzdem: Versuche, Münchner Äquivalente für die eindeutig voneinander unterscheidbaren Berliner Kieze zu finden, können nur scheitern. Ich habe es mit ein paar Freunden versucht: Haidhausen ist wie Prenzl’berg, aber ein bisschen weniger hip, oder? Ist Glockenbach wie Schöneberg, oder ist es dafür zu gentrifiziert und daher eher wie Kreuzberg? Irgendwie ist es nirgends in München räudig genug, um es mit Wedding oder Neukölln aufnehmen zu können! Und wo zur Hölle passt das Westend rein?
Eine Stadt wie ein Qualitätsdirndl: Sorgfältig zusammengenäht – zwar bunt, aber alles in allem trotzdem extrem bayerisch.
Die Diskussion war absolut aussichtslos: München ist einfach kein Melting-Pot aus vielen kleinen Welten – München ist München. Und im Vergleich irgendwie aus einem Guss. Unterschiede sind zwar da, aber für das Mars-Expeditions-Feeling muss man die Stadt verlassen und sich in die bayerische Wildnis begeben. Eine Stadt wie ein Qualitätsdirndl: Sorgfältig zusammengenäht – zwar bunt, aber alles in allem trotzdem extrem bayerisch. Kein Schmelztiegel, sondern eher ein Topf Kartoffelsuppe. Aber natürlich eine ausgezeichnete, nach altem Rezept, verfeinert mit ein paar Geheimzutaten, die niemand so richtig rausschmecken kann.