Von Neukölln nach Untergiesing: Provinzmetropole München

© Anna Rupprecht

Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.

München ist die drittgrößte Stadt Deutschlands. Dieses Ranking weckt extrem falsche Erwartungen. Denn denkt man an Großstadt, dann kommen einem Hochhäuser, bunte Lichter, Menschenmassen in den Sinn. Eine pulsierende Metropole, ein Melting Pot! All das ist München… nicht.

Wenn ich von Untergiesing nach Neukölln zurück komme, fühlt es sich an wie ein Ausflug vom Teletubbieland nach Gotham City.

Mein Umzug von Neukölln nach Untergiesing fühlte sich ein bisschen an, als wäre ich wieder zurück ins Dorf gezogen. Von meinem Fenster aus sehe ich nun nicht mehr die überfüllte, laute Sonnenallee, sondern einen Haufen Bäume, Eichhörnchen, und den Hausmeister, der unnötigerweise einmal die Woche um sieben Uhr morgens den Rasen mäht. Die Geräuschkulisse ist dieselbe wie in dem 300-Seelen-Kaff, aus dem ich komme: Keine Polizeisirenen und keine pöbelnden Besoffenen mehr, dafür Vogelgezwitscher und lachende Kinder. Von so viel Idylle war ich erst mal ein bisschen überfordert – und wenn ich von Untergiesing nach Neukölln zurück komme, fühlt es sich an wie ein Ausflug vom Teletubbieland nach Gotham City. Liebevoll nenne ich nun mein Heimatdorf das „kleine Kaff“ und München das „große Kaff“. Ein Kaff, in dem einfach öfter Busse fahren.

Irgendwie ist der unverblümte Provinzflair auch das, was die Stadt besonders macht.

Untergiesing ist ein Extrembeispiel, aber auch in den zentraleren Vierteln sucht man – mit ein paar wenigen Ausnahmen – vergeblich nach ein bisschen echtem, hartem Großstadtflair. Darauf ist die Münchner Bevölkerung stolz – und irgendwie ist der unverblümte Provinzflair auch das, was die Stadt besonders macht. Das merkt man zum Beispiel an den nie enden wollenden Hofflohmärkten: Dass es ganze Viertel in einer derart großen Stadt hinbekommen, sich zu organisieren, zusammen zu kommen und etwas derart Idyllisches auf die Beine zu stellen – undenkbar in Neukölln. Dort habe ich es selbst in sechs Jahren im selben Haus nicht auf die Reihe bekommen, meine Nachbarn überhaupt kennenzulernen: Die einzige Kommunikation fand über wütende Beschwerdezettel an der Haustür statt, weil mal wieder jemand seinen Sperrmüll im Flur entsorgt hatte. In meinem neuen Wohnhaus in Giesing wurde ich vor Kurzem von meinem Nachbarn ermahnt, weil ich es gewagt habe, an einem heiligen Feiertag meine Wäsche im Waschkeller zu waschen. So viel dazu.

Wie breit das Spektrum des Begriffs 'Metropole' tatsächlich ist – das habe ich durch meinen Umzug erst gelernt.

München legt keinen Wert auf Street Credibility. München ist bequem und harmoniebedürftig – ohne Scham. Das ist irgendwie konsequent – und ich kann nicht anders, als davor Respekt zu haben. Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, ein bisschen an Realitätsverlust zu leiden, wenn ich vor meinem Fenster die Eichhörnchen spielen sehe und beinahe darauf warte, dass gleich ein paar Vögel zum Fenster hereinfliegen und mir im Disney-Style singend Gewänder anlegen – und ich nicht mehr stattdessen zum Frühstück jemanden an der Sonnenallee neben die Bushaltestelle pinkeln sehe.

Und trotzdem sind beide Orte – das Teletubbieland in Südbayern und Gotham City an der Spree – Metropolen. Wie breit das Spektrum dieses Begriffs tatsächlich ist – das habe ich durch meinen Umzug erst gelernt. Meistens finde ich es sehr sympathisch, wie konsequent idyllisch München die meiste Zeit ist. Manchmal brauche ich allerdings einen Reality-Check. Dann steig’ ich in den Zug gen Norden.

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