Von Neukölln nach Untergiesing: Ein Umzug mit Kulturschock
Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.
„Aber wieso zur Hölle München?“. Hätte ich für jedes Mal, als jemand das zu mir gesagt hat, einen Euro bekommen… ihr wisst schon. Dabei ist doch die eigentliche Frage: Warum eigentlich nicht München? Als ich beschlossen habe, für den Master in eine andere Stadt zu ziehen, nachdem ich sechs Jahre in Neukölln verbracht hatte, war München tatsächlich meine erste Idee.
Primär aus sehr rationalen Gründen: Ich kannte die Stadt ein bisschen und hatte schon ein paar Freunde hier. Außerdem hatte ich im letzten Winter einen Ausflug an den Kochelsee unternommen, der mich umgehauen hatte – und der es mir ermöglichte, mir die Illusion zu machen, dass ich „auf jeden Fall zwei Mal im Monat in die Berge fahre“, wenn ich erst in München wohne (ja, klar).
Irgendwie mag ich die Bayern. Dieser Grantler-Vibe erinnert mich an meine beiden anderen Heimaten: Hessen und Berlin.
Und: Irgendwie mag ich die Bayern. Dieser Grantler-Vibe erinnert mich an meine beiden anderen Heimaten: Hessen, wo einem die adäquate Menge Desinteresse und Lethargie zusammen mit dem Äbbelwoi schon als Kleinkind injiziert wird. Und Berlin, wo von einem erwartet wird, sich bei Konversation nicht mit unnötigen Ausschmückungen aufzuhalten und wo schlechte Laune meist ein Ausdruck von guter Laune ist. Aber was es eigentlich bedeutet, von der Sonnenallee nach Untergiesing zu ziehen – ich hatte keine Ahnung.
Als die Zusage der LMU eintrudelte, wurde es ernst. München also. Und mein Freundeskreis in Aufruhr: „Du in München?!“ Irgendwie absurd. Aber ich blieb dabei und verabschiedete mich ausgiebig von der Sonnenallee, meinem geliebten Hipsterghetto – von den Spätis, den Novolines, den ranzigen Matratzen am Straßenrand, den Hipstercafés und dem Makali-Halloumi-Sandwich für 1,50 Euro.
Als ich dann mit dem Transporter, meinen sieben Sachen und einem guten Hippie-Freund von mir in meine neue Straße einbog, da wurde mir spätestens klar: Das hier wird anders.
Interessanterweise war der Abschiedsschmerz am größten, als ich noch dort war: Neukölln wurde plötzlich zum schönsten Ort des Planeten, und ich war verknallt in jeden festgetreten Kaugummi auf der Straße. Dass es das Universum aber gut meinte mit München und mir, das wurde spätestens klar, als ich wie durch ein Wunder nach genau zwei WG-Besichtigungen eine Zusage bekam: in Untergiesing. Und als ich dann mit dem Transporter, meinen sieben Sachen und einem guten Freund von mir – Urberliner und Zottelhippie – in meine neue Straße einbog, da wurde mir spätestens klar: Das hier wird anders.
Mein alter Block: Vollgestopft mit Kneipen, Shishabars, Spätis, Imbissen, hippen Läden, Menschen aus jedem Winkel der Erde – Neukölln, der Nabel der Welt! In meinem neuen Block: Dreistöckige 60er-Jahre-Bauten mit gepflegten Vorgärten, in denen kleine Schilder mit durchgestrichenen, kackenden Hunden angebracht sind. Und ein Edeka, der um 18 Uhr schließt und in dem die Bäckereifachverkäuferin den Preis mit Kugelschreiber auf die Brotverpackung schreibt. Aus meinem Zimmer sehe ich nicht mehr kilometerweit die Sonnenallee herunter, sondern schaue auf Bäume. Bäume und Eichhörnchen. Und natürlich auf die FC-Bayern-Flagge, die stolz im Fenster meines Nachbarn prangt.
Scheiße, wo krieg' ich jetzt was zu essen her? Es war nach 18 Uhr. Und mein Kulturschock nahm seinen Lauf.
Als mein flauschiger Berliner Freund in seiner Hippiemontur meine Vintage-Koffer durch den Vorgarten in Giesing schleppte, sah es ein bisschen aus, als würde ein neues Monster in die Sesamstraße einziehen. Irgendwie deplatziert, der Konfetti-Hippie auf dem gemähten Rasen und zwischen den Zierbüschen. Die paar Sachen, die ich besitze, waren schnell verstaut, mein Freund wieder auf dem Weg zurück nach Berlin – und ich plötzlich alleine in dieser verschlafenen Stadt. Was ich mir dachte? „Scheiße, wo krieg' ich jetzt was zu essen her?“ Es war nach 18 Uhr. Und mein Kulturschock nahm seinen Lauf.