Ganz der Baba #9: Freibad, Fritten & Helikoptereltern

© Marie Lechner

Für diesen Sommer hatte ich für Teddy und mich eine Bucketlist geschrieben. Immerhin würde es Teddys erster Sommer sein, den er als laufendes, "Ja" und "Nein" sagendes Menschlein erleben würde. Dabei ist der Sommer in München zum Glück wie ein übermotivierter Praktikant im Elternbüro. Das Gröbste erledigt er schon und man muss eigentlich nur noch die Feinheiten steuern.

Es kann so einfach sein, denn selbst ohne große Planung springt bei schönem Wetter einfach ein guter Tag auf dem Spielplatz raus und wenn man Daddy of the Day werden will, gibt's im Anschluss noch ein Eis – zumindest sofern das die jeweilige Ernährungsreligion hergibt. Punkt 1 auf der Bucketlist ist also "Pistazien- und Himbeereis in mindestens sechs verschiedenen Eisdielen probieren.". Dicht gefolgt von dem unrealistischen Ziel an mindestens drei Wochenenden in Folge in die Berge zu fahren.

Hach, das Schyrenbad: Der süße Geruch von Chlor und Frittenfett, sonnengegerbtes Freibad-Urvolk jenseits der 65 und natürlich eine Prise Proleten

Mein ultimativer Lieblingspunkt ist allerdings: "Mit Teddy auf die große Rutsche im Schyrenbad". Gesagt, getan. Ab in den absoluten Prototypen eines Freibads, das mit allem lockt, was dazu gehört: Der süße Geruch von Chlor und Frittenfett, sonnengegerbtes Freibad-Urvolk jenseits der 65 und natürlich eine Prise Proleten. Gelobt sei die Nähe zu meinem geliebten Obergiesing und Neuperlach.

Die Vorbereitungen dauern schlappe 75 Minuten und ich schiebe Teddy mit Sack und Pack Richtung Schyrenbad. Wir richten uns mitten im Kinderwagendorf in unmittelbarer Nähe zum Kleinkinderbecken ein und als ich mich umschaue, bin ich erstaunt, wie viel Sonnencreme auf einen Quadratzentimeter Kinderhaut passen. Ich fühle mich, als wäre ich umringt von einem kleinwüchsigen Urvolk, das sich für die Schlacht mit weißer Asche beschmiert und bekomme Gänsehaut. Dazwischen tummeln sich Kleinkinder in Outfits, die nur haarscharf am Vermummungsverbot vorbei schlittern.

Wie groß ist die tatsächliche Lebensgefahr wenn sich ein 83 Zentimeter großes Kind in ein 30 Zentimeter tiefes Becken begibt?

Teddy rennt währenddessen auf das Kleinkinderbecken zu und ist gerade dabei sich – dem Briefing entsprechend – ins Wasser zu begeben, als ihn eine fremde Mutter an der Hand festhält und mir mit gut gemeinten, dennoch nicht minder vorwurfsvollen Blick mitteilt, dass meine “Tochter“ beinahe ganz ohne Schwimmflügel oder Rettungsweste ins Wasser gegangen wäre.

Meinerseits sind nun mehrere Fragen offen: Wie groß ist die tatsächliche Lebensgefahr wenn sich ein 83 Zentimeter großes Kind in ein 30 Zentimeter tiefes Becken begibt? Wie notwendig sind Schwimmflügel in dieser Situation? Und nicht zuletzt: Was hat die übergriffige Plunz denn geritten, meinen Sohn aus dem Becken zu ziehen?

Ihre pure undifferenzierte Angst manifestiert sich in einem etwa vier Jahre alten Kind, das nicht nur einen Neoprenanzug trägt, sondern auch eine Schwimmweste und einen verdammt großen Hut.

Ich atme tief durch, lasse ihr diesen vermeintlichen Heldenmoment und erkenne, was sie da reitet: Ihre pure undifferenzierte Angst manifestiert sich in einem etwa vier Jahre alten Kind, das nicht nur einen Neoprenanzug trägt, sondern auch eine Schwimmweste und einen verdammt großen Hut. Die wenigen freien Stellen Haut sind von einer zentimeterdicken Schicht Sonnencreme bedeckt. Ich sag mal so: Man geht hier auf Nummer sicher.

Wäre es nicht auch mal eine gute Idee, dem Kind ein bisschen Raum für ein kurzes Wasserverschlucken oder ne Schramme am Knie zu lassen? Kann man dem Kind nicht zutrauen, dass es in knöcheltiefem Wasser nicht ertrinkt? Sollten wir uns nicht alle auch mal ein bisschen locker machen?

Im Gegensatz zu ihren Schützlingen sind die Eltern nicht mit Sonnencreme zugekleistert und das führt zur unvermeidlichen Entblößung verschiedenster Jugendsünden.

So locker, wie wohl auch einige Eltern, die sich gerade angeregt über Reiswaffeln unterhalten, mal waren. Im Freibad kommen nämlich nicht nur innere Werte ans Licht. Im Gegensatz zu ihren Schützlingen sind die Eltern nicht mit Sonnencreme zugekleistert und das führt zur unvermeidlichen Entblößung verschiedenster Jugendsünden. Wer war die Reiswaffel-Frau wohl früher? Also zu dem Zeitpunkt, als sie sich Billy, die Gruselpuppe aus dem Horrorfilm Saw, auf den Oberarm tättowieren hat lassen?

Bevor ich mich zu einem ausführlichen Tattoo-Kopfkino verleiten lassen kann, wird es finally doch Zeit für einen Baywatch-reifen Sprint. Teddy trippelt nämlich mit klitzekleinen, aber verdammt schnellen Schritten auf das große Becken zu. Innerlich hoffe ich, dass schon die nächste übergriffige Mutter in den Startlöcher steht, um im Notfall einzugreifen. Doch der Kleine bleibt einfach genau vor der Treppe zur großen Rutsche stehen und zeigt mir unmissverständlich, dass es jetzt Zeit ist zu rutschen. Ein weiterer Punkt auf der Bucketlist abgehakt. Sommer durchgespielt.

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