Verhaftet wegen schön: Liebe Münchnerinnen, gegen euch bin ich ein Höhlenmensch
Ich sitze mit meiner Mama und meiner Tante bei einem Cappuccino in der ersten Frühlingssonne. Meine Mutter – ein Kind der 80er, an deren ausgeprägten Achselbusch ich mich noch leibhaftig erinnere – schreit plötzlich auf. Sie hat meine dunkle Beinbehaarung entdeckt, die so gar nicht frühlingstauglich ist. "Wie kannst du so leben?!" fragt sie mich entrüstet. Ganz gut eigentlich. Denn ich möchte mich nicht mehr der sozialen Norm beugen. Ich möchte mal nachlässig mit meinen Beinhaaren umgehen dürfen, mal nicht jeden Tag zweimal duschen, und mich auch morgens nicht immer schminken. Ich möchte mir nicht für viel Geld, das ich sowieso nicht habe, die Nägel und die Haare machen lassen.
Als ich das sage, kommt von diesen beiden Frauen, von denen ich bisher immer geglaubt hatte, sie würden ganz entspannt mit ihrem Aussehen umgehen, heftigste Widerrede. Nur, weil es jetzt "in" sei, könnte ich doch nicht derart Widerliches machen, wie meine Beinhaare wachsen statt waxen zu lassen. Das wäre ja dann sowieso überhaupt nicht meine Meinung, sondern nur etwas, das ich adaptiert hätte, weil ich denken würde, es wäre rebellisch. Rebellisch sein ist cool. Außer wenn es um die Optik einer Frau geht.
Rebellisch sein ist cool. Außer wenn es um die Optik einer Frau geht.
Und das war schon immer so. Bereits die griechische Frau der Antike entledigte sich nach einem ausgiebigen Bad, das ihrem frischen Teint dienen sollte, mit einem Epilator aller störender Körperhaare. Die Dame in der Renaissance färbte ihr Haar mit Tinkturen aus Veilchen und Gerste blond. Und im Mittelalter gehörte das Haar einer Frau komplett dem Mann und sie sowieso auch. Mal im Ernst, wenn wir ganz ehrlich zu uns sind – was hat sich seitdem geändert?
Warum genau gehen wir nochmal in ein Waxingsstudio und lassen uns mit heißem (!) Wachs einzelne Haare unserer Körperbehaarung ausreißen? Was genau bringt uns dazu, uns einer derart martialischen Praktik zu unterwerfen? Ich persönlich glaube ja, dass die Reduzierung auf das Aussehen einer Frau niemals ein Ende haben wird, wenn wir Frauen selbst uns immer wieder zu einem Objekt unseres Äußeren machen.
Das soll überhaupt nicht heißen, dass ich mich nicht auch gerne mal aufrüsche. Wimperntusche, Concealer und Highlighter sind für mich kein Fremdwort, ferner bin ich sogar im Besitz eines Glätteisens. Es geht mir eher um diese kollektive Selbstverständlichkeit, wie eine Frau auszusehen hat. Und zwar in jeder erdenklichen Lebenslage. Morgens nach einer Nacht bei einem One-Night-Stand, beim Müll rausbringen, nach fünf Gin Tonic und schrecklich verkatert.
Die Münchnerin, so scheint es, ist stets von einer zarten Schicht teuerstem Make-up bedeckt, ihre Haare glänzend und glatt. An allen anderen Körperstellen ist sie selbstverständlich völlig haarlos. München wimmelt nur so vor Frauen, die sich lieber den ganzen Abend auf der Clubtoilette schminken, als Nächte durchzutanzen. München wimmelt vor Frauen, die alle gleich aussehen. Seid doch mal mutig!
München wimmelt nur so vor Frauen, die sich lieber den ganzen Abend auf der Clubtoilette schminken, als Nächte durchzutanzen.
Am Wochenende treffe ich dann eine Freundin, die eben von Berlin nach München gezogen ist. Sie erzählt mir, dass sie das Gefühl hat, Münchner Männer würden sie einfach nicht wahrnehmen. Sie sei "zu natürlich", nicht perfekt genug. Unsichtbar. Sie hätte es schon mit jeglicher Form von Anmache versucht, gestern sogar mit dem extra offensivem Ausgeben eines Tequilas. Der Kerl hat sie kurz mit einem abschätzigen Blick gemustert, ihr unzureichend geschminktes Gesicht entdeckt, ihre Turnschuhe, und sich für den Schnaps bedankt. Dann ging er, ohne ihr auch nur seinen Namen zu verraten.
Und auch ich verspüre eine seltsame Bewunderung für diese Art Frau, die es in einem so häufig ausgeprägten Stadium nur in München gibt. Die Frau in Perfektion. Von ihnen geht eine Unnahbarkeit aus. Es fühlt sich an, als würden sie sich auf einem Level von Super Mario bewegen, das ich einfach niemals erreichen werde. Die kennen geheime Power-Ups, von denen ich noch nie gehört habe.
Ich bin ein Höhlenmensch, gefangen zwischen perfekt frisierten Maxvorstadt-Mamis, die sich in vollkommener Endboss-Manier die Yogamatte über die Schulter schwingen.
Ich bin ein Höhlenmensch, gefangen zwischen perfekt frisierten Maxvorstadt-Mamis, die sich in vollkommener Endboss-Manier die Yogamatte über die Schulter schwingen. Nicht auszudenken, wie ich erst aussehen werde, wenn ich ein Kind geboren habe und mich auch noch darum kümmern muss! Wirklich, es ist mir ein Rätsel, wie diese Frauen das machen. Die Antwort ist wahrscheinlich – Zeit. Sehr, sehr viel Zeit.
Als ich nach Hause gehe, kaufe ich mir auf dem Weg zurück neue Rasierklingen. Und weil ich schonmal da bin, auch noch einen neuen Nagellack. Und eine Haarspülung. Dann dusche ich, rasiere meine Beinhaare, und lackiere mir die Zehennägel. Mal schauen, wie lange ich bis zum nächsten Mal durchhalte.