Ganz der Baba #24: Darf ich Ihr Kind Arschloch nennen?

© Marie Lechner

Es ist fünf Uhr morgens. Meine Hände schwitzen und ich habe ein flaues Gefühl im Magen. Bin ich erfolgreich oder gehe ich leer aus? Jahrelang war ich tief drin im Sneaker Game: Aufstehen bevor die Server der Online Shops freigeschaltet werden, auf dutzenden Seiten parallel nach diesem einen Air Jordan fischen und dann die Korken knallen lassen, wenn es geklappt hat.

Wer hätte gedacht, dass sich diese Skills eines Tages außerhalb des Sneaker-Kosmos auszahlen würden? Für Freibadkarten um genau zu sein. Eltern sind aktuell so bedürftig nach Freibadkarten wie eine Zehner-WG nach Leberkassemmeln und Spezi am Morgen nach der Einweihungsparty. Es ist absurd. So absurd, dass es einen
Schwarzmarkt für Freibadkarten gibt. Checkt bitte eBay Kleinanzeigen und seht was da abgeht.

Ich begehe direkt den absoluten Anfängerfehler: Ziehe dem Kind niemals zuerst die Schwimmsachen an.

Jedenfalls habe ich Freibadkarten. Also, nicht einfach nur Freibadkarten, sondern Freibadkarten und Freibadwetter! Höchste Zeit, die Freibadtasche, die bereits ab Ende April vorgepackt im Flur steht, mit Snacks und Badewindeln aktualisiert und schnurstracks ins Michaelibad zu heizen. Denn: Zwei. Verdammte. Rutschen!

Ich begehe direkt den absoluten Anfängerfehler: Ziehe dem Kind niemals zuerst die Schwimmsachen an. So versuche ich im Laufen meine Badehose überzustreifen, denn Teddy sitzt schon längst auf der kleinen Rutsche und schaut ängstlicher als gedacht. Ich versuche mich möglichst höflich an den anstehenden Kindern vorbeizuschlängeln, als ein etwa 7-jähriger Junge den Rambo-Modus einschaltet und sich kommentarlos schubsend seinen Weg nach oben bahnt. Der absolute Prototyp eines Bully-Kindes, wie es in jeder beliebigen Komödie der 90er Jahre zu sehen war.

Der Typ scheint ein echter Kotzbrocken zu sein, denn überall, wo er in seiner neongrünen Badehose auftaucht, hinterlässt er eine Schneise des Kindergeschreis.

Ich versuche weiterhin mit Höflichkeit voran zu kommen, was erstaunlich gut funktioniert – außer bei besagtem 7-Jährigen. Nennen wir in Damien. Der versichert mit lauthals, dass ich ihm einen Scheiß zu sagen habe, steigt über Teddys Kopf hinweg und rutscht hinunter. Situation Ende. Vorerst.

Eine kurze Weile später – Teddy und ich planschen gerade so vor uns hin – ist Damien wieder auf der Rutsche und schubst ein Kind. Die Kleine ist gerade mal etwas über ein Jahr und zum Glück fängt die Mutter das weinende Kind rechtzeitig auf. Der Typ scheint ein echter Kotzbrocken zu sein, denn überall, wo er in seiner neongrünen Badehose auftaucht, hinterlässt er eine Schneise des Kindergeschreis. Von seinen Eltern fehlt jede Spur und ich stelle mir unweigerlich ein paar Fragen: Ist er ein Arschloch? Wurde er so geboren? Ist er das pure Böse? Können Kinder überhaupt Arschlöcher sein? Ist es in Ordnung, bestimmte Kinder einfach nicht zu mögen?

Wenn man ein Baby von der Rutsche schubst, ist man dann ein Arschloch oder nicht?

Mir sind die pädagogischen Dogmen schon geläufig. Jedes Kind wird frei von Schuld geboren, bla, bla. Aber mal im Ernst: Wenn man ein Baby von der Rutsche schubst, ist man dann ein Arschloch oder nicht? Darf ich angepisst sein von dieser Kackbratze? Und wie weit kann ein Kind gehen, bis man es zurechtweisen darf?

Bevor ich über Antworten zu diesen unzähligen Fragen nachdenken kann, ist Damien schon wieder am Start und versucht Teddys Schwimmdelfin aus seiner Hand zu reißen. Kurz hoffe ich, dass der Delfin den Konflikt nicht überlebt, denn er ist sehr groß und sehr hässlich. Teddy schreit Damien entschieden an: "Hör auf! Geh weg!" – yes, das ist mein Junge, der nebenbei auch unerhört viel Griffkraft hat und deswegen Herr über den hässlichen Delfin bleibt. Ich steuere meinen bösesten Blick bei und Damien verzieht sich mit einem zischenden "Verpisst euch!".

Unten angekommen beschließe ich die Sache zu regeln wie ein echter Kerl. Ich suche einen Bademeister, der sich der Sache annimmt.

Zwei Szenen später. Teddy schreit nach der großen Rutsche und quietscht vor Glück, als wir das erste Mal runter sausen. Es folgen 22 weitere Male und als wir gerade mt Rutschpartie Nummer 24 loslegen wollen, spüre ich einen kräftigen Stoß in meinem Nacken. Hat der Typ mir einfach 'ne Nackenklatsche verpasst! Ich verliere die Beherrschung und schnauze Damien an: "Was is los mit dir, du scheiß ...?!"

Ich bin nicht stolz auf die Wortwahl. Zu meiner Verteidigung: Ich habe im Affekt gehandelt und dachte noch dazu, ich hätte Teddy vor Schreck losgelassen. Unten angekommen beschließe ich die Sache zu regeln wie ein echter Kerl. Ich suche einen Bademeister, der sich der Sache annimmt: "Sie müssen bitte mit uns reden bevor sie die Kinder anschreien. Aber wir behalten das Kind jetzt mal im Auge."

Selten habe ich Gott so sehr dafür gedankt, dass jemand mit einer Portion Pommes an uns vorbeiläuft, denn Teddy ruft "Fommep!" und liefert uns damit eine hervorragende Exit-Strategie. Wir sitzen also auf unserer Picknickdecke und essen Fommep während ich beobachte, wie Damien im Pacman-Style vom Freibadpersonal verfolgt wird. Ich habe irgendwie immer noch keine Antwort darauf, wie ich in Zukunft mit den Damiens dieser Welt umgehe und bin fast froh, dass die Freibadsaison bald schon wieder rum ist. Ein bisschen tut er mir aber auch Leid. Warum auch immer.

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