Wird München jetzt lieb? Teuer ist es ja schon.
Meine Verbindung zu dieser Stadt ist kompliziert. Über keinen anderen Ort habe ich mich so oft beschwert, geflucht oder geschimpft wie München. Die Mieten sind zu hoch, die Menschen zu arrogant und die Straßen zu sauber. Eine Stadt, die das verdrängt, was nicht in das Postkartenidyll mit Frauenkirche und Bergpanorama passt. Besonders sympathisch ist das nicht. Gleichzeitig habe ich noch nie eine Stadt so oft verteidigt und in Schutz genommen, vor denen, die München sagen, aber BMW, FCB oder die CSU meinen. Mir sind schon sämtliche Vorurteile gegenüber München begegnet, nicht alle sind schlecht, nur besonders herzlich zu sein, war nicht dabei.
Dabei ist es genau das, mit dem die Stadt fast fünfzig Jahre für sich geworben hat: „München – Weltstadt mit Herz“. Der Werbeslogan stammt aus dem Jahr 1962. Erfunden soll ihn die Münchnerin Dorit Lilowa haben, die sich damit bei einem Wettbewerb gegen etwa 44.000 andere Einsendungen aus dem ganzen Land durchsetzte. Ein Marketingspruch, der die Münchner Gegensätze zu verbinden vermag: Zunächst gesteht der Slogan die Urbanität der Großstadt zu, schon damals hat die Stadt die Millionenschwelle überschritten, aber lässt „mit Herz“ sozusagen die Kirche im Dorf und beinhaltet den Provinzcharakter, der München bis heute erhalten geblieben ist.
Nur leider waren Dörfer eben noch nie die Quelle der Offenheit und Freundlichkeit. Während der Wiener Schmäh inzwischen als charmant und verdreht liebenswürdig wahrgenommen wird, blieb der bayerische Grantler vor allen Dingen eins: ein Grantler. Dieser mürrische Zeitgenosse muss nicht mit Lederhose, Hut und Gans am Max-Joseph-Platz ausharren, sondern erscheint in jeglicher Variation und Outfit – ob mit Echtpelzbommel oder hochgekrempelter Mütze. Die Münchnerinnen und Münchner sind eher verhalten. Sie bleiben gerne unter sich. Wer in den letzten Jahren nach München kam, hatte Schwierigkeiten, sich einem Freundeskreis anzuschließen.
Erlangt München seine Herzlichkeit zurück?
2021 war das Jahr der Comebacks, bei denen immer etwas fehlt: Sex and the City ohne Samantha, Sissi ohne Romy Schneider oder die neueste Pandemiewelle ohne politischen Plan. Vielleicht ist es auch das Jahr gewesen, in dem München die Herzlichkeit zurückerlangt hat – in der Zeit ohne die Wiesn, dafür wieder „mit Herz“.
Vor vier Jahren hat die Journalistin Valeriya Safronova in der New York Times die These aufgestellt, dass München sich aus seinem Biergarten-Oktoberfest-Image pellt und cool werden könnte, wegen hippen Orten wie der Alten Utting, Café Crönlein und Goldenen Bar. Doch ich hoffe, dass sie sich irrt und München nicht cooler, sondern wärmer wird. So schrieb der britische Autor Matt Haig in seinem Buch "Die Mitternachtsbibliothek": "Mach dir keine Sorgen wegen dem, was coole Menschen vielleicht denken. Das Leben ist Wärme. Such dir warme Menschen. Cool sein kannst du, wenn du tot bist."
Es scheint absurd zu sein, dass gerade in einer Zeit, in der das Abstandhalten ein Zeichen von Respekt und Solidarität ist, die Verhaltensweisen aufbrechen und München wärmer wird. Es gab hier natürlich schon immer liebe Menschen, doch so auffällig freundlich wie zurzeit habe ich sie noch nicht wahrgenommen. Ob beim Arbeiten im Café, beim Einkaufen im Supermarkt oder beim Anstehen zur Booster-Impfung.
An einem Abend letzten Herbst in der Favorit Bar sollte nach der letzten Runde noch nicht Schluss sein und so taten wir uns zusammen. Eine Gruppe von Menschen, die nicht mal auf Facebook miteinander befreundet waren. Doch die Angst, sich bald nur bei Spaziergängen von Weitem zuzunicken, schweißte uns in dieser Nacht zusammen, ließ uns an das Fenster von einer geschlossenen Bar klopfen und schließlich das letzte Mal im Blitz tanzen. Auf dem Heimweg hatte ich den Gedanken, dass sich München anders anfühlt. Netter, freundlicher, offener. Meine Beobachtung teilten die, mit denen ich darüber sprach. Wird München jetzt lieb? Teuer ist es ja schon.