Weihnachten weit weg von zu Hause – eine ukrainische Familie erzählt

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von Anna Hentsch

Überall Lichterglanz, Glöckchenklang und Glühweinrausch – es ist nicht zu übersehen: Weihnachten steht vor der Tür. Mit dem Fest klopfen aber nicht bei allen freudige Erwartungen an – das Fest der Liebe kann bei manchen auch Ängste, Einsamkeit und Traurigkeit auslösen.

Weihnachten lebt von Traditionen und Erinnerungen, die von Land zu Land unterschiedlich sind. Wie geht es also Menschen, die geflohen sind und das erste Mal Weihnachten in einem Land feiern, das nicht ihre Heimat ist? Wir haben eine Familie aus der Ukraine gefragt, die nach ihrer Flucht in München lebt: Maxym und Lena lebten mit ihren beiden Söhnen in Kiew, bis der Krieg sie zwang, ihr Zuhause zu verlassen. Zurzeit wohnen sie in Maisach bei München, lernen Deutsch und versuchen die Dinge positiv zu sehen.

Wie empfindet ihr die Vorweihnachtszeit in München?

In München und Maisach ist alles mit Lichtern geschmückt, die Häuser sind sehr schön dekoriert. Wenn wir abends mit den Kindern spazieren gehen, sind sie meistes sehr zufrieden. Wenn wir dann nach Hause gehen, werden sie oft ein bisschen traurig – ihnen fehlen ihr Zuhause, ihr früheres Leben, ihre Freunde und Verwandten, die Spielsachen, die zu Hause geblieben sind und die wir nicht mitnehmen konnten.

Wie habt ihr in der Ukraine Weihnachten gefeiert?

Weil sowohl Katholiken als auch Orthodoxe in unserem Land leben, feiern wir Weihnachten am 25. Dezember oder am 7. Januar. Unsere Familie feiert traditionell vom Abend des 6. Januar bis zum 7. Januar Weihnachten. Zuhause wird ein Weihnachtsbaum aufgestellt und geschmückt, die Wohnung wird mit Luftballons und Lichtern dekoriert. Üblicherweise verbringt man den Abend an einer Festtafel mit Familie, Freunden und Verwandten. Für die Kinder liegen Geschenke unter dem Weihnachtsbaum und die Kinder freuen sich, dass sie so lange aufbleiben dürfen. Weihnachten war immer ein märchenhafter Feiertag einmal im Jahr, bevor der Krieg kam.

Weihnachten war immer ein märchenhafter Feiertag einmal im Jahr, bevor der Krieg kam.

Was kommt Weihnachten bei euch auf den Tisch?

Zuerst gibt es Kutya – ein süßer Brei aus Weizen, Sultaninen und Nüssen. Dann gibt es Ravioli-ähnliche Knödel mit Kartoffel- oder Quarkfüllung, die nach dem Kochen mit saurer Sahne übergossen werden. Ein weiteres beliebtes Gericht sind gefüllte Kohlrouladen. Unser Land ist sehr vielfältig, andere Regionen der Ukraine feiern anders, bei uns war es aber immer so Tradition.

In diesem Jahr ist leider alles anders. Wie feiert ihr dieses Jahr Weihnachten?

Dieses Jahr feiern wir Weihnachten an dem in Deutschland üblichen Datum. Wir werden zumindest mit einem kleinen Teil der Familie feiern: Die Großmutter meiner Frau lebt in einem Flüchtlingslager in Maisach. Sie ist 82 Jahre alt und kommt aus Mariupol. Ihr Haus ist zerstört und die Stadt ist besetzt. Sie kann aktuell nicht bei uns wohnen, denn unsere Wohnung ist zu klein. Wir hoffen, dass sie bald eine kleine Sozialwohnung bekommt.

Was wünscht ihr euch zu Weihnachten?

Wir möchten wirklich, dass diese Weihnacht unserem Land Frieden bringt. Wir wünschen uns, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Es soll nie wieder einen Krieg geben, denn Krieg ist beängstigend und sinnlos.

Wir wünschen uns, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird.
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Gibt es etwas, mit dem wir Münchener*innen euch die emotionale Weihnachtszeit verschönern können?

Wir empfinden viel Dankbarkeit für Deutschland und für die Menschen, die hier leben. Unsere Familie hat nur positive Gefühle und Hilfe von den Menschen in Deutschland erhalten. Alle Möbel und Dinge, die sich jetzt in unserer Wohnung befinden, haben wir zum Beispiel auf Ebay-Kleinanzeigen gefunden – das hat uns sehr geholfen. Denn unser ganzes bisheriges Leben haben wir in zwei Koffern mitgebracht.

Wie habt ihr den Kriegsbeginn erlebt?

Als wir am 24. Februar um 4 Uhr morgens aufwachten, konnten wir nicht glauben, dass so etwas überhaupt passieren kann. Meine Frau und die Kinder haben viel geweint. Den ersten Tag verbrachten wir damit, Lebensmittel zu kaufen und das Nötigste an Gegenständen und Dokumenten zu besorgen. Die zweite Nacht verlief noch schlechter: Wir haben auf dem Gang geschlafen, eine Rakete schlug über unserem Haus ein und landete in einem Wohnhaus in der Nachbarschaft. Es war eine schreckliche Nacht. Wir haben kaum geschlafen.

Wie verlief eure Flucht?

Um 6 Uhr morgens, sobald die Ausgangssperre vorbei war, luden wir unsere Sachen ins Auto und verließen Kiew in Richtung Zhytomyr. Die Stadt war ein einziger Stau, viele Leute gingen einfach mit ihren Koffern die Straße entlang. Panzer und Soldaten kamen auf die Autokolonne zu. Kurz bevor wir Kiew verließen, begann der Beschuss. Wegen des Staus konnten wir nicht weiterfahren und standen lange neben der Brücke in der Nähe des Dorfes Stoyanka, später erfuhren wir, dass die Brücke ein paar Stunden danach gesprengt wurde. Es war wirklich sehr beängstigend.

Wann seid ihr nach München gekommen?

Zuerst wohnten wir ein paar Wochen bei verschiedenen Freunden, bis wir beschlossen, die Ukraine zu verlassen. Ende März kamen wir rein zufällig nach München – das heißt, es war nicht geplant, speziell nach Deutschland und München zu kommen. Wir folgten der Einladung eines Bekannten nach München und wohnten zuerst in einem Hostel. Auf dem Spielplatz haben wir Einheimische kennengelernt, die uns bei der Suche nach einer Unterkunft halfen. Wir sind dem Schicksal und diesen Menschen aus München sehr dankbar! Dank ihnen konnten wir eine Wohnung beziehen, in der wir bis zum Ende des Sommers lebten.

Wir sind dem Schicksal und diesen Menschen aus München sehr dankbar!

Jetzt seid ihr auf der Suche nach einer neuen Wohnung?

In der ersten Wohnung lebten wir mit zwei Familien – neun Personen und zwei kleine Hunde. Irgendwann meldetet sich der Eigentümer einer Wohnung in Maisach bei uns, in der wir Vier seit dem 1. September – zusammen mit unserem Yorkshire Terrier „Daisy“ – leben. Leider wissen wir nicht, ob wir hier länger als 6 Monate bleiben können. Deshalb suchen wir eine 3-Zimmer-Wohnung in München, Maisach oder Fürstenfeldbruck, dann kann unser ältester Sohn weiter das Gymnasium in München besuchen und der jüngere Sohn die Realschule in Maisach.

Gibt es etwas, woran ihr euch in Deutschland noch gewöhnen müsst?

An die Bürokratie – im Vergleich zu unserem Land läuft alles etwas langsamer und man muss mehrere Tage und manchmal Monate im Voraus einen Arzttermin vereinbaren. Aber wir beklagen uns nicht und sind dankbar für das, was wir haben!

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