Queer-Feminismus und Räume für alle: Der Glitch Bookstore in der Maxvorstadt
Das feste Ruckeln an der Tür lässt aufhorchen und verrät, dass eine neue Kundin den Laden betritt. Hastiges Schuheabputzen an der Tür, das in dem ruhigen Raum etwas lauter wirkt als sonst. Nur hin und wieder ist das Piepsen der Kasse, an der Sebastian Pfotenhauer sitzt, zu hören. Hier sind wir im Glitch, dem kleinen Buchladen in der Barer Straße, der Ende November neu eröffnete – und der vielen so wichtig ist, ihn zu erhalten.
So ruhig wie heute ist es nicht immer. Gegen abends und am Wochenende kann hier ganz schön was los sein, wenn es sich die Leute auf den Sofas gemütlich machen, Kaffee zusammen trinken und sich austauschen. Sebastian, einer der vier Glitch- Gründer*innen, führt in den hinteren Raum, wo die anderen noch am Werkeln sind. Sie bauen einen großen Holztisch auf und schaffen damit einen weiteren Raum, einen weiteren Treffpunkt für zukünftige Lesungen oder einfach zum Verweilen. An den Wänden hängen Bilder der freien Künstlerin Anne Kristin (Stine) Kristiansen – eine weitere Gründerin. "Die Arbeiten sollen immer wieder getauscht werden, sodass viele Künstler*innen hier ausstellen können", sagt sie.
Literatur für alle
Nadine Osbild, die dritte Gründerin, und Stine setzen sich auf eines der Sofas vor den beiden Schaufenstern und haben von hier aus den ganzen Buchladen im Blick. In nur drei Monaten haben sie den feministischen Buchladen Lillemor's übernommen und das neue Glitch daraus gemacht. Hier geht es nicht mehr "nur" um Feminismus, sondern auch um die Themen Queer-Feminismus, Rassismus, Behinderung und Inklusion. "Die vorigen Besitzerinnen Andrea Gollbach und Ursula Neubauer gehörten noch der ersten Generation der Feministinnen an. Wir wollen nun viel mehr Menschen ansprechen", sagt Stine. So reihen sich in den Regalen "The Woman in Me" von Britney Spears an Alice Hasters "Identitätskrise" sowie an englischsprachige Bücher und Kinder- und Jugendliteratur.
Über 40 Jahre Feminismus geht weiter
Als sie hörten, dass der älteste feministische Buchladen Deutschlands Lillemor's nach über 40 Jahren schließt und daraus Büroräume entstehen sollen, wollten das Stine, Nadine, Sebastian und Johanna Hopp nicht hinnehmen. "Es war aber ein langes Hin-und-Her-Überlegen, wir haben ja alle schon ein volles Leben", sagt Stine. Als freie Künstlerin, die anderen beschäftigt an der TU München, soll man nebenher noch einen Buchladen führen? Da der Vermieter eine schnelle Rückmeldung brauchte, musste die Entscheidung daher auch schnell stehen: Ja! "Vielleicht war es auch gut so, so hatten wir nicht viel Zeit zu überlegen und haben alles in drei Monaten umgesetzt", meint Nadine.
Sie starteten ein Crowdfounding und bekamen Unterstützung vom Kollektiv, das sich um Glitch gründete, wodurch dann alles ganz gut klappte. "Wir hoffen, dass wir uns durch solidarische Modelle finanzieren können". Glitch ist also darauf angewiesen, dass auch andere den Laden erhalten wollen. "Reich werden wir damit nicht. Wir wollen nur den Buchladen erhalten, der sich hoffentlich irgendwann selbst finanziert."
Bücher tauschen und schenken
Im Glitch müssen Bücher nicht unbedingt gleich gekauft werden, um sie zu lesen. Es gibt ein Tauschregal, in dem bereits ausgewählte Bücher stehen. Außerdem gibt es so eine Art Kaugummi-Automaten, der mittels Münzeinwurf Buchvorschläge ausspuckt. "Die Münzen kann man aber auch als Gutschein kaufen oder hinterlegen. Für jene, die sich Bücher vielleicht nicht leisten können." Solidarität und Miteinander stehen hier im Vordergrund, in einem geschützten Raum, der allen zugänglich sein soll.
Allen? Das ist dann doch ein Widerspruch: Wie soll Glitch ein Safespace bleiben, wenn alle rein können? "Wir wollen queer-feministische Bücher allen zugänglich machen. Mit Veranstaltungen oder Lesungen für beispielsweise Flinta*s oder Transpersonen nochmal extra auf deren Bedürfnisse eingehen", sagt Nadine.
Den Fehler im System nutzen
Der Begriff Glitch kommt aus der IT. In der Gaming-Szene spricht man von einem Fehler im Spiel, den Gamer*innen nutzen, um zum Beispiel das Spiel schneller durchzuspielen. Glitch ist auch ein Wort aus der Bildgenerierung mittels KI, wenn in einem Bild Fehler auftauchen, die man erst durch einen Hinweis entdeckt. Ein Fehler im System. "Das fanden wir eine ganz passende Perspektive auf einen Raum in München. Ein kleiner Fehler zu sein, der das System, wie es jetzt ist, nutzt und einen kollektiven Raum erschafft", sagt Nadine.
Dabei geht es nicht nur um den Mangel an Räumen und die ungenützten Flächen in München, sondern um einen kollektiv genutzten Raum mit Platz für Queer-Feminismus und Inklussionsthemen. "Hätte Lillemore's einfach aufgehört, dann hätte es in München keinen einzigen Buchladen mehr gegeben, der sich dem Thema Feminismus widmet. Dabei sollte es doch ganz selbstverständlich ein Teil des Stadtbildes sein", sagt Sebastian. Anstatt darüber nachzudenken und zu meckern, was es in München alles nicht gebe, solle man lieber einen Impuls hervorrufen, was alles möglich sein könne. Einen solchen Impuls gibt das Team um Glitch.
Dass es einen solchen Raum braucht und der auch angenommen wird, zeigte die Eröffnung am 25. November. Von 14 bis 20 Uhr war der Buchladen voll. Nun hoffen die vier Gründer*innen, dass es auch so weiter geht, Glitch angenommen wird und Vereine sowie Veranstalter*innen die Räumlichkeiten nutzen und zu schätzen wissen. "Mein größter Wunsch ist, dass Glitch ein Sehnsuchtsort ist für andere Menschen, der es für mich auch ist. Dass der Raum mit Ideen gefüllt wird und sich die Leute hier ausleben können", sagt Nadine.
Glitch Bookstore | Barer Straße 70, 80799 München | Dienstag – Samstag: 11–19 Uhr | Mehr Info