Rammstein in München: Es braucht mehr als Verbote, um Frauen zu schützen

© Jens Koch, P.R. Brown

Was für ein Timing. Diese Woche ist das Münchner Olympiastadion an vier Tagen ausverkauft, 240.000 Menschen strömen zu den Konzerten von Rammstein, die das Highlight ihrer Europatour sein sollen. Und dann sind da die Vorwürfe von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch rund um den Frontsänger Till Lindemann. Seitdem sich Shelby L. letzte Woche auf Social Media dazu äußerte, was ihr bei einem Rammstein-Konzert in Vilnius in Litauen widerfahren sei, melden sich immer mehr junge Frauen zu Wort.

Die Münchner Stadtfraktionen reagieren darauf mit einem Verbot der Row Zero – was nicht ganz funktioniert – und einem Awareness-Team. Aber reicht das? Nein. Und soll die Stadt überhaupt was tun? Ja! Und auch die Fans sind gefordert.

© Jens Koch

Angefangen hat alles am 25. Mai 2023. Shelby L. schreibt auf Twitter, wie sie als Konzertbesucherin gezielt für ein Bühnentreffen inklusive Sex mit Till Lindemann in der Konzertpause ausgewählt worden sei. Zum Sex sei es zwar nicht gekommen, aber zu einem Blackout und Erwachen im Hotelzimmer mit blauen Flecken am Körper – wodurch sie die Verabreichung von K.O.-Tropfen vermutete. Sie verständigte die Polizei.

Daraufhin wird ihr vorgeworfen, ein nach Aufmerksamkeit haschender Groupie zu sein. Ein bisschen Fame auf dem Rücken von Lindemann. Dann melden sich zahlreiche junge Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollen. Süddeutsche Zeitung und NDR haben mit einigen von ihnen gesprochen. Ähnlich wie die Influencerin Kayla Shyx in einem Video erzählen auch sie, nach optischen Kriterien vor und während der Konzerte ausgewählt, in die Row Zero und den Backstage-Bereich eingeladen und mit Alkohol versorgt worden zu sein, um mit Till Lindemann Sex zu haben.

Doch nach wie vor gilt die Unschuldsvermutung für Lindemann, denn die Band dementiert die Vorwürfe. Und die Fans? Tun es ihnen oftmals gleich, trennen Musik und Künstler voneinander oder haben viel Geld für Konzertkarten ausgegeben und gehen trotzdem hin. Denn jedem Fanboy*girl ist selbst überlassen, wie er*sie mit den Vorwürfen gegen Lindemann umgeht.

Till Lindemann
© Jens Koch, Olaf Heine

Die Politik reagiert mit Row Zero-Verbot und Awareness

Trotzdem reagiert die Stadt München auf die Vorwürfe. So wurde am Montag ein Antrag von den Stadtratsfraktionen von Grünen/Rosa Liste, Linken und ÖDP gestellt, dass es die Row Zero nicht geben soll. Die heißbegehrte Reihe Null direkt vor der Bühne gibt es bei zahlreichen großen Konzerten, bei Rammstein sollen dort aber systematisch Frauen versammelt worden sein, die später zu Till Lindemann gebracht wurden.

Ein erster, gut gemeinter Schritt der Stadtfraktionen in Richtung Sicherheit. Ganz so leicht ist es dann aber doch nicht. Aus dem Umfeld der Band hieß es, dass es den Bereich vor der Bühne aus Sicherheitsgründen geben müsse, schließlich wird Feuer- und Pyrotechnik eingesetzt. Damit bleibe die Row Zero zwar erhalten, aber nur Sicherheitspersonal dürfe sich dort aufhalten. Beim ersten Konzert in München am Mittwoch waren angeblich keine Frauen in dem Bereich zu sehen. Die Fraktion der Grünen fordert bei den Rammstein-Konzerten in München außerdem eine feste Anlaufstelle für Frauen, die sich belästigt fühlen und den Einsatz eines Awareness-Teams. Die sollen als Ansprechpartner*innen in Situationen fungieren, die als unangenehm empfunden werden.

Was kommt von Rammstein? Nicht sehr viel, um ein glaubwürdiges Nichtsgewusstzuhaben zu vermitteln. Sie bitten ihre Fans auf Instagram darum, sich nicht an irgendwelchen Vorurteilen zu beteiligen und würden "jede Art von Übergriffen" verurteilen. Die Band geht dem nun selbst nach und hat eine Anwaltskanzlei eingeschaltet.

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Und sie trennten sich von Alena M., die sich auf Instagram als "Casting Director, on the tour with @till_lindemann_official" beschreibt und junge Frauen in die Row Zero und Backstage zu Lindemann gebracht haben soll. Nach einer Lösung aller Probleme klingt das nicht, sondern Schuld schwingt mit.

Es liegt an euch: Konzertkarten loswerden oder nicht hingehen

Ob nun schuldig oder nicht, ob ihr die Konzerte besuchen wollt oder nicht – es liegt an euch. Jede*r hat das Recht, für sich selbst zu entscheiden, wie er*sie mit den Vorwürfen umgeht. Es muss aber die Möglichkeit geben, als Fan darauf reagieren zu können. Wenn man nun an der Unschuld Lindemanns zweifelt oder ein ungutes Gefühl beim Konzertbesuch hat, dann sollte man das Ticket zurückgeben können. Bislang fehlt ein solches Angebot leider und so sollen einige Fans versuchen, ihre Tickets über Plattformen loszuwerden und umpersonalisieren zu lassen. Noch eine Idee: @wellshesassy ruft auf Instagram dazu auf, sich in den Kommentaren zu verabreden, um gemeinsam am Konzertabend etwas anderes Schönes zu unternehmen. Why not?

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Demonstrieren und aufklären

Es gebe kein außerordentliches Kündigungsrecht, das Konzert abzusagen, heißt es von Seiten der Olympia Park München GmbH. Wie könnte dann eine Reaktion seitens der Zuschauer*innen aussehen? Eine Demonstration wie beim Konzert von Roger Waters, dem ehemaligen Pink Floyed-Mitglied, der trotz Demos vor Ort und digitaler Infotafeln seine antisemtischen Parolen von der Bühne brüllte? 30 bis 50 Aktivist*innen, unter anderem von Slutwalk München, haben vor dem Olympiastation am Mittwoch demonstriert. Aber ob auch eine große, gut organisierte Demonstration eingefleischte Fans umstimmt oder gar eines der drei folgenden Konzerte zum Abbruch bewegt, ist eher unwahrscheinlich. Dann geht es eben online weiter: Mittlerweile haben Tausende die Petition unterschrieben, die den Abbruch der Konzerte in München und Berlin fordert.

Was es braucht, ist Aufklärung und Prävention gegen Gewalt. Vor allem junge Menschen können unsicher sein und lassen sich stärker beeinflussen oder zu etwas drängen, was sie nicht wollen. Ihnen die Schuld zu geben, ihnen den Opferstatus zu entreißen und ihnen vorzuwerfen, sie hätten gewusst, worauf sie sich einlassen? Come on! Kein Mensch trägt Schuld daran, Opfer von Missbrauch oder Übergriffen jeglicher Art zu werden – und wenn der Rock noch so kurz oder der Oberkörper noch so frei ist. "Prävention gegen Gewalt muss an den Schulen viel früher beginnen, denn Mädchen und Frauen erleben Gewalt sehr viel häufiger und wahrscheinlicher in anderen Kontexten", so SPD-Stadträtin Anne Hübner.

Das hat mit Groupietum und freiem Wille nichts zu tun. Wer hat eigentlich festgelegt, dass Konzerte Sex, Drugs und Rock'n'Roll bedeuten? Frauen und alle Besucher*innen sollen sich auf Konzerten sicher fühlen und dafür sind Veranstalter*innen, Manager*innen, andere Besucher*innen und schlussendlich auch die Band selbst verantwortlich. Wie Bands für mehr Sicherheit sorgen können? Als die österreichische Band Wanda erfuhr, dass ein Fan während eines ihrer Konzerte belästigt wurde, verschärften sie das Sicherheitskonzept, riefen zu Amore bei ihren Konzerten auf und baten ungebeten Gäste, die den Gedanken nicht teilen, zu Hause zu bleiben.

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Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen. Außer: Passt auf euch auf, passt aufeinander auf und habt vergnügte Konzerte. Es geht doch darum, eine gute Zeit zu haben, Musiker*innen und Künstler*innen zu unterstützen. Übergriffe und Missbrauch haben dort nichts verloren. Auch wenn der Fame noch so groß ist.

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