Semesterferien und keinen Bock, in die Heimat zu fahren – das ist der Grund

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Stille Gassen, leergefegte Plätze und geschlossenen Clubs – in den Semesterferien gab sich meine einstige Studentenstadt Passau wahrlich größte Mühe, mich zum Heimfahren zu bewegen. Doch nicht nur die verwaiste Kleinstadt, sondern auch das gute Verhältnis zu meinen Eltern verleiteten mich Jahr für Jahr zum Heimatbesuch. Ganz anders wäre es wohl in der Landeshauptstadt gekommen. Denn Gründe, die vorlesungsfreie Zeit in München zu verbringen, liefert die schönste Stadt der Welt ohne Ende. Ob man nun Bock hat oder nicht, in den Semesterferien nach Hause zu fahren, hängt nicht immer nur von der Studi-Stadt ab. Wovon dann?

Der Münchner Sozialwissenschaftler Michel Herzig ist früher in den Semesterferien nach Hause zu seiner Familie gefahren. In seiner Doktorarbeit hat Herzig die soziale Dynamik in der Familie untersucht, wenn die Kinder ausziehen. Wir haben mit dem Wissenschaftler darüber gesprochen, warum junge Menschen gerne ins Elternhaus zurückkehren – oder warum eben nicht.

It's all about the money

Vorwände für den Heimatbesuch zwischen den Semestern gibt es viele. Nicht nur das Alter und Geschlecht der Kinder spielen eine Rolle (Frauen ziehen deutlich früher aus!), vor allem die finanzielle Situation der Eltern beeinflusst, wie oft man nach Hause fährt. Womit wir schon beim ersten Faktor wären: Geld. Denn je wohlhabender die eigene Familie ist, desto größer ist meist auch das Haus, in dem sie wohnt. Und desto wahrscheinlicher ist es, dass die Eltern nach dem Auszug der Kinder noch ein leerstehendes Kinderzimmer haben, in dem in Ruhe gelernt werden kann.

Sozialwissenschaftler Herzig hat herausgefunden: Je weniger Eltern verdienen, desto früher ziehen Kinder aus. Schlichtweg um eigenes Geld zu verdienen und in der eigenen Wohnung mehr Platz zu haben als im geteilten Kinderzimmer. Kinder, die ihr Abitur machen, würden länger zu Hause wohnen, da sie später ins Berufsleben starten, erklärt Herzig.

In manchen Familien ist der Graben zwischen den gesellschaftspolitischen Standpunkten so tief, dass er sich unmöglich mit Pflanzenmilch auffüllen ließe.

Politik vs. Pflanzenmilch

Nicht nur unsere Klamotten und Lehrbücher breiteten wir in den Semesterferien gerne im Elternhaus aus. Auch der Raum für unterschiedliche Meinungen macht den Heimatbesuch wahrscheinlicher. Wenn ich meine Familie in den Semesterferien besuchte, hatten meine Eltern eine Hafermilch für mich im Kühlschrank stehen. Im Gegenzug sparte ich mir meinen Gender-Vortrag beim Kaffeetrinken. Der Streit beim Heimatbesuch blieb aus. Doch in manchen Familien ist der Graben zwischen den gesellschaftspolitischen Standpunkten so tief, dass der sich unmöglich mit Pflanzenmilch auffüllen ließe.

"Nach ein paar Jahren werden die Streitpunkte immer weniger. Denn in der Auszugsphase, wenn junge Menschen sich an eine neue Umgebung anpassen, nehmen die Konflikte mit den Eltern kurzfristig zu", erklärt Herzig. Nach ein paar Jahren werde das Verhältnis aber meist wieder besser.

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Die Zeit heilt alle Wunden

"Solange du die Füße unter meinem Tisch stellst ...!" — Sätze, wie diese, werden in unserer Generation nur noch selten über den Mittagstisch gebrüllt. "Die 20-Jährigen von heute haben ein viel engeres, oft sogar freundschaftliches Verhältnis zu ihren Eltern", sagt Herzig.

Kein Wunder — denn während die Generation unserer Eltern zum Teil unverheiratet nicht einmal ausziehen durfte, können wir in polyamoren Beziehungen in der Großstadt leben. Die Autorität ihrer eigenen Eltern wollen unsere Eltern uns nicht aufdrängen. So werden Eltern-Kind-Beziehungen von Generation zu Generation freundschaftlicher.

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Drei Straßen weiter einziehen

Am meisten überrascht hat uns, dass entgegen unserer Erwartungen in der Großstadt-Blase, über die Hälfte aller jungen Menschen früher oder später in der Nähe ihrer Eltern wohnen. Und zwar nicht nur im selben Bundesland – nein – sogar im Umkreis von weniger als zehn Kilometer! Das hat eine Forschergruppe um Thomas Leopold von der Universität Bamberg vor einigen Jahren herausgefunden.

Sozialwissenschaftler Herzig hat in unserem Gespräch vor allem betont, dass Familienbeziehungen in Deutschland deutlich positiver sind als wir glauben. Der Großteil junger Menschen trifft die Eltern regelmäßig, viele Münchner Student*innen fahren in den Semesterferien (wenn sie nicht schon in München aufgewachsen sind) gerne in die Heimat, um ein paar Wochen in einem Garten in Niederbayern oder einer hessischen Kleinstadt zu entspannen. Da bringe ich auch heute gerne noch ein paar Packungen Hafermilch selber mit.

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