O'zapft is: So ist der Wiesn-Anstich wirklich
Jedes Jahr wird so auf den ersten Wiesntag hingefiebert. Schon Wochen vorher scheint ganz München kein anderes Thema zu kennen. Klar, ist es denn nicht nur das größte Volksfest, sondern auch eines, das sehr kontrovers diskutiert wird. Darauf muss ich nun nicht näher eingehen. Ich fokussiere mich auf den Anstich im Schottenhamel. Ich war 2023 zum ersten Mal dort und erzähle euch, wie es dort wirklich zugeht.
Wer sagt das?
Ich muss sagen, es hat was. Ich bin weder ein echtes Münchner Kindl noch eine Bayerin. Mein erstes eigenes Dirndl hab ich mir mit 23 Jahren gekauft. Ich komme aus Österreich und München ist erst seit acht Jahren mein Zuhause und gehöre zu denen, die Wiesn weder lieben noch hassen. Es ist ein Mischmasch. Zum einen hat München zu der Zeit einen speziellen Vibe. Irgendwie gibt es ein gewisses Gemeinschaftsgefühl, indem man zusammen auf die Theresienwiese pilgert, einfach das Geschehen genießt und auf der anderen Seite gemeinsam schimpft; über die B'soffenen, das Gekotze, die Dauer, die Schickeria, billige Tracht.
Am ersten Wiesntag, so scheint es, wird all das Negative noch ausgeblendet. Die Wiesn ist noch unverbraucht, die Tische sauber, die Biergärten leer, bis frühmorgens der Run darauf beginnt. Zumindest für jene, die keinen Tisch haben. Die anderen gehen kurz vor zwölf, kurz vor dem Anstich, ganz gemütlich zu ihren Tischen und Bänken. Und da war dieses Mal ich dabei.
Im Vorjahr hab' ich mir den Anstich live im Fitnessstudio angeschaut – kein Scherz, in Bayern wird der auch dort übertragen – im Jahr darauf war ich mitten drinnen.
Im Vorjahr hab ich mir den Anstich live im Fitnessstudio angeschaut – kein Scherz, in Bayern wird der auch dort übertragen – im Jahr darauf war ich mitten drinnen. Im Schottenhamel herrscht eine gewisse Aufregung, das große Warten. Denn erst nachdem OB Reiter, der mit nur wenigen Schlägen gekonnt das Bier zapfen wird, wird Bier ausgeschenkt. Gut, Wasser und Saft gibt es schon, aber das will noch niemand. Gespannt glotzt man auf Politiker*innen, das Münchner Kindl und die Musikkapelle, die den Gang entlang vorschreiten zum OB und ihn dazu beklatschen, wie wenig Schläge er dieses Mal gebraucht haben wird. Fernsehteams, internationale und Lokal-Journalist*innen, beim Anstich sind alle ganz vorne mit dabei.
Sitzt man aber im Schottenhamel-Zelt an einem der Tische, dann sieht man davon überhaupt nichts. Weder eine weiße Haarspitze von OB Reiter, noch hört man wirklich die berühmten Hammerschläge. Nur die eifrige Moderation, die das Geschehen vorne auf der Tribüne bis ins kleinste Detail sehr enthusiastisch verfolgt, lässt darauf schließen, was im Schottenhamel passiert. Und die Leute sind außer sich.
Die O'Zapft-Schläge sind wirklich ein Ding. Ich kann nicht versprechen, ob es an manchen Tischen nicht auch einen Wetteinsatz dazu gibt. Ist dann aber endlich das Bierfass angestochen, muss man aufgrund der Akustik erstmal nachfragen oder auf Instagram stalken, wie viele Schläge es jetzt tatsächlich waren. Es wird laut gejubelt, geklatscht, geschunkelt – endlich gibt es Bier. Auch wenn man wie ich bekennende Weintrinkerin ist, die Laune ist ansteckend. Gleich ertönt die Musik, Politiker*innen schütten Hände, das Münchner Kindl stößt an, die Kellnerin kommt mit den ersten Maßkrügen. Eine kleine Enttäuschung: Wer eine Radlermaß bestellt, muss dann noch eine halbe Stunde warten. Bier hat jetzt erstmal Vorrang. Und doch steht fünf Minuten später ein Radler vor mir: top Bedienung!
Wer geht hin?
Kommen wir mal zu den Gäst*innen. Wer sitzt denn alles beim Anstich. Alle. Wirklich jede Gesellschaftschicht ist hier vertreten. Da haben wir alt Eingesessene, die ihren Tisch beim Anstich jedes Jahr fix haben und seid bestimmt 40 Jahren gesetzt sind. Da gibt's nichts zu rütteln. Dann, natürlich, Promis – weniger A, mehr Z; die Schickeria, die normalerweise für im Käferzelt abhängt, aber für den Anstich eine Ausnahme macht. Hier ist wirklich jede Menge Botox vorhanden und die Dirndl und Lederhosen könnten von Ed Hardy designed worden sein. Dann sind da noch jene Wiesnbesucher*innen, die einfach eine gute Zeit haben wollen wie in jedem andere Zelt auch. Und Menschen wie mich, die eher durch Zufall hier gelandet sind, sich das alles mal anschauen wollen, zuerst alles skeptisch beäugen und schlussendlich doch ganz schön angetüdelt auf der Bank ein Prosit anstimmen.
Fazit: Der erste Wiesntag hat etwas Besonderes. Obwohl es extrem voll ist, wirkt die Wiesn zum Anstich so frisch, so neu, so sauber – zumindest für die ersten Stunden. Es ist vielleicht nicht das unvergleichliche Happening, das ich mir jedes Jahr unbedingt geben muss. Im Endeffekt ist es ähnlich wie an jedem anderen Tag in jedem anderen Wiesnzelt auch, nur ein bisschen aufregender. Aber wenn ihr mal die Gelegenheit habt, dann schaut euch das Spektakel unbedingt mal.