When the sun stands still: Klavierkonzert am schwebenden Flügel
Es ist kurz vor Sonnenaufgang, minus sechs Grad sind es gerade im Werksviertel. Der Boden ist leicht angefroren und darüber hat sich über Nacht eine millimeterdicke Schneeschicht gebildet. Wie ihr euch vorstellen könnt, ist es hier um 07 Uhr morgens ganz schön zapfig und wir könnten uns eigentlich Schöneres vorstellen, als in zehn Meter Höhe zu hängen. Müssen wir auch nicht, aber Alaine Roche tut genau das.
Zugegeben, der Pianist hat sich nicht gerade die beste Jahreszeit ausgesucht, um sich von einem Kran, den Rücken dem Boden zugewandt und am Klavier festgeschnallt, über dem Werksviertel zu baumeln. Uns wird schon beim Zuschauen kalt. Besonders um diese Uhrzeit. Doch sobald die ersten Töne erklingen, sind wir sehr dankbar über den frühen Vogel in uns. In den nächsten 45 Minuten lauschen wir seinen wundervollen Klängen und beobachten dabei, wie der dunkelblaue Himmel langsam heller wird. Die Zeit scheint still zu stehen. Diesen wundervollen Start in den Tag werden wir so schnell nicht vergessen.
WHEN THE SUN STANDS STILL
Am Kran, direkt hinter dem Umadum Reisenrad hängt Alaine Roche. Er erfand 2013 das "PIANO VERTICAL" und gab damals schon in der Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Österreich und sogar China Konzerte. Beim Festival "Out of the Box" konnten wir ihn 2020 auch in München schon schwebend bestaunen. Jetzt erfreut er uns jeden Tag mit seinem neuen Projekt when the Sun stands still.
Genau diese besondere Stunde des Sonnenaufgangs sollen seine Zuhörer*innen erleben, sagt der Pianist. Je nach Jahreszeit finden die Konzerte dann zu unterschiedlichen Uhrzeiten statt. Während wir im Januar noch "spät" dran waren um 07 Uhr, findet das letzte Konzert im Juni schon gegen kurz vor vier Uhr statt. Damit auch in der Senkrechten die Hämmer korrekt anschlagen, wurde die Mechanik des Flügels ganz neu konzipiert.
NATUR TRIFFT AUF KULTUR
Zwei paar Socken, Handschuhe, Wollpulli. Ganz warm eingepackt haben wir uns für das Spektakel, denn die eisigen Temperaturen wollen nur zu gerne unter unser Unterhemd kriechen. Der heiße Kaffee wärmt uns dabei von innen. Andere Zuschauer*innen haben sich mit Decken und Tee ausgestattet. Auch vor Ort gibt es Heißgetränken und Decken, mit denen ihr also gut versorgt werden. Während wir so kuschelig im Liegestuhl chillen, erwacht so langsam auch die Natur. Im Hintergrund hören wir die Wälder mit Vogelgesang erwachen und ganz sanft plätschert ein Bach vor sich hin.
Mit 40 hochsensiblen Mikrofonen werden zeitgleich in Deutschland und der Schweiz die Naturgeräusche aufgenommen und per Live-Stream im Hintergrund abgespielt. Damit wollen die Initiator*innen ein Bewusstsein für die Vielfalt unserer Landschaft schaffen und zu deren Schutz aufrufen. Damit wir diese Komposition aus Klavier und Natur auch richtig zu hören bekommen, lauschen wir der Musik über Kopfhörer. Ein bisschen kitschig wird die Stimmung, als es dann auch noch zu schneien anfängt. Unsere romantischen Herzen schlagen da gleich noch ein bisschen höher.
Ihr bezahlt mit einer Spende
Noch bis zum 20. Juni könnt ihr eines der insgesamt 182 Konzerte besuchen. Auch wenn wir eher Nachteulen sind, hat es sich definitiv gelohnt und wir würden immer wieder hingehen. Im gläsernen Flügel verfolgen wir jede Tastenbewegung des Pianisten und das Umadum Riesenrad spiegelt sich ganz leicht darin. Fast schon meditativ nehmen wir die Atmosphäre wahr. Unseren bevorstehenden Arbeitstag vergessen wir dabei und geben uns ganz den wunderschönen Klängen hin. Der Künstler vermischt die ruhigeren Sequenzen mit schnelleren Tastenkombinationen. Der angenehmen Mischung könnten wir stundenlang zuhören, während wir mitten im Werksviertel auf unseren Liegen dösen.
Wie viel euch das Konzert wert ist, dürft ihr anschließend selbst entscheiden. Am Ende könnt ihr einen Betrag eurer Wahl an die Veranstalter*innen oder an die Crowdfunding-Kampagne spenden. Mit eurer Unterstützung kann das tolle Projekt ermöglicht werden, denn ithilfe der Kampagne werden Merch-Artikel und Vinyl Platten produziert. So könnt ihr euch das Konzert nach Hause holen. Ansonsten heißt es: Früh aufstehen und einen spektakulären Start in euren Tag erleben!