Ganz der Baba #4: Teddy ist cool, aber wir waren zuerst da!

© Marie Lechner

Text: Sam Ibrahim

Sam und seine Frau haben nicht nur einen neuen winzigen Mitbewohner namens Teddy, sondern er auch einen neuen Job. Sam ist jetzt Papa – in Vollzeit. In dieser Kolumne nimmt er euch mit auf die Baustelle Baby. Warum freut man sich auf jemanden, den man noch gar nicht kennt? Was geht eigentlich bei den Münchner Mamas und was haben Air Jordans mit Feminismus zu tun? Immer mit dabei: die hilfreichen und manchmal fragwürdigen Lebensweisheiten seiner ägyptischen Mama. Folge vier: 

Als meine Frau im fünften Monat schwanger war nahm sie während des Abendessens bedeutungsvoll meine Hand: „Wenn der Kleine da ist, dann bleibst du meine Nummer eins, okay? Versprochen! Wir waren zuerst da!“ 

Meine Frau ist kein Freund von Phrasen. Tiefsinnige Zitate mit Wandtattoo-Charakter sorgen sehr schnell dafür, dass sie Kotzgeräusche macht.

An dieser Stelle müsst ihr wissen: Meine Frau ist kein Freund von Phrasen. Im Gegenteil, sie hat da eine sehr niedrige Übelkeitsschwelle. Tiefsinnige Zitate mit Wandtattoo-Charakter sorgen sehr schnell dafür, dass sie Kotzgeräusche macht. Ich muss dann immer kichern. Manchmal lese ich ihr diese Blödmannszitate aus Instagram vor und lache mich bei ihren Reaktionen kaputt.

Aus diesem Grund war ich mir sicher, dass sie dieses Versprechen ernst meinte. Ein Versprechen, dessen wahrer Wert sich für mich erst herausstellen sollte – vor allem jetzt als Vollzeitvater.

Die Gefahr ist nämlich groß, dass man dem Mountainbike-Effekt zum Opfer fällt. Dieser Effekt basiert auf sehr validen wissenschaftlichen Untersuchungen und Beobachtungen, durchgeführt von Koryphäen auf ihrem Gebiet und getestet an echten Menschen. Also von mir und an mir. Ich habe nämlich zwei Jahre bevor Teddy auf die Welt kam beschlossen, mir ein Mountainbike zu kaufen. Ich wollte hin und wieder mal einen Ausflug zu den Isartrails machen – as if.

Kinder kriegen ist wie genau dieser Mountainbike Effekt – bloß auf sehr harten Steroiden.

Jedenfalls wusste ich vorher gar nichts über Mountainbikes. Außer, dass es geländetaugliche Fahrräder sind, aber das ist noch keine Erkenntnis und macht noch lang keinen Mountainbike-Effekt. Und so ging die Recherche los und plötzlich sah ich überall in der Stadt nur noch Mountainbikes und konnte jedes Modell samt spezifischer Bauteile benennen. Plötzlich waren diese Räder Teil meines Lebens, meiner Gedankenwelt und beanspruchten ganz schön viel Aufmerksamkeit – ob ich wollte, oder nicht.

Kinder kriegen ist wie genau dieser Mountainbike Effekt – bloß auf sehr harten Steroiden. Bei deinem Kind gibt es alle drei Wochen ein neues großes Thema, das bis ins kleinste Detail beleuchtet werden will. Das Kind und alles, was auch nur im Entferntesten damit zu tun hat, nimmt dich ein, setzt sich fest in deinen Neuronen und wohnt da wie ein fieser Immobilienhai, der nicht nur die Vier-Zimmer-Wohnung für sich alleine haben möchte, sondern gleich das ganze Viertel. Nur eben ein echt süßer, kleiner Hai, der ja gar nichts Böses will.

In der Themeninzucht zwischen Öko-Windel und Kaka-Konsistenz merke ich, dass das Wort "Selbstverteidigung" für mich eine ganz neue Bedeutung bekommt.

Die Versuchung ist also groß, sich selbst irgendwo in dieser Themeninzucht zwischen Öko-Windel, den ersten Zähnen, Kaka-Konsistenz und Lauflernschuh aus gemüsegegerbtem Leder zu verlieren. Und zwar buchstäblich. An diesem Punkt merke ich, dass das Wort „Selbstverteidigung“ für mich eine ganz neue Bedeutung bekommt. Ich möchte mehr sein als Teddys Vater und meine Frau mehr sein als Teddys Mutter, denn ich glaube, dass das für uns alle am besten ist.

Ich möchte mich mit bedeutungsvollem Blick vor die Kinderwagenkolonne stellen und fragen: "Wer wart ihr denn vor Pauline?"

Auf den Spielplätzen, nach den Krabbelgruppen, bei Spaziergängen der fast schon bedrohlich wirkenden Kinderwagenkolonnen wird mit so einer Leidenschaft über vermeintlich lebenswichtige Dinge wie die richtige Breitemperatur, die beste Bioreiswaffel und die neue Sensormatte zum Überwachen des Babyschlafs diskutiert, dass ich mich manchmal mit bedeutungsvollem Blick vor die schiebende Mannschaft stellen und fragen möchte: „Wer wart ihr denn vor Pauline?“

Es geht mir nicht darum, bei all den Entscheidungen, die man nun für das Wohl des Kindes treffen muss, auf „Turbo-Scheiß-Egal-Modus“ zu schalten. Vielmehr glaube ich, dass es einer Familie sehr gut tut, eben auch eine Beziehung zu beinhalten. „Ein gesundes Wir besteht aus gesunden Ichs“. Bei der Phrase hat meine Frau Kotzgeräuschverbot. Das Zitat stammt nämlich von Mama.

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