Ganz der Baba #26: Terrible Teddy und die Trotzphase

© Marie Lechner

Zwei Jahre ist es her, dass Teddy bei Sam und seiner Frau eingezogen ist. Seitdem ist Sam "Baba" in Vollzeit. Wie er den Alltag zwischen Arschlochkindern und Helikoptereltern so wuppt, seine Probleme mit Mario Kart löst und versucht, Teddy für Basketball anstatt Fußball zu begeistern, erzählt er in dieser Kolumne. Immer mit dabei: Anekdoten aus seiner ägyptischen Familie, Sneaker-Liebe, Hip Hop und die großen und kleinen Fragen der Kindererziehung.

Mitte der Neunziger hatte ich ein großes Faible für Wrestling. Immer wieder fand man mich vorm Fernseher, mitfiebernd bei den Royal Rumbles, den Revenge Matches, den Tag Team Fights. Kann gut sein, dass ich ein Fan war, weil bei dieser Art Wrestling ein gewisses Maß an Körpermasse ein Vorteil war – und die hatte ich! Vielleicht war ich aber auch Fan, weil alles so herrlich eindimensional erzählt wurde. Es gab die Bösen. Es gab die Guten. Die Prollos, die Frauenhelden, die Saubermänner, die Exoten. Man musste sich nur entscheiden zu welchem Lager man gehört.

Eines Abends ließen mich meine Elter allein mit meinem Cousin. Also nicht mein richtiger Cousin. Unsere Eltern waren befreundet und dann war man einfach automatisch Cousin. Kein Plan, warum, aber fragt beim nächsten Mal lieber nach, bevor ihr denkt, euer Migrantenkumpel hätte zwanzig Cousins. Jedenfalls: Kaum war die Tür hinter den Eltern ins Schloss gefallen, wurde das Kinderzimmer mit Matratzen ausstaffiert und wir lieferten uns in Shorts und Unterhemden ein Wrestling Match nach dem anderen. Ich war der Ultimate Warrior und mein Nicht-Cousin der Undertaker. Tatsächlich endete das Geraufe eher in einem ausgewachsenen Streit, der am Ende mit einer erbitterten Runde Mario Kart entschieden wurde.

Echte Kämpfe, bei denen das Kinderzimmer voller Matratzen ist und ich mich mit vollem Körpergewicht auf Teddy stürze, bleiben zwar aus, aber ich habe zumindest schon mal kurz drüber nachgedacht.

Zwar nicht ganz so schlimm wie der Chokeslam des Undertaker, aber nicht weniger nervenaufreibend, ist die berühmt berüchtigte Trotzphase, in der auch Teddy sich gerade befindet. Auf Englisch ist die Phase, die so etwa um das zweite Lebensjahr eintritt, fast ein bisschen lustiger: The Terrible Two. Klingt für mich nach einem verdammt fiesen Wrestling Tag Team. Echte Kämpfe, bei denen das Kinderzimmer voller Matratzen ist und ich mich mit vollem Körpergewicht auf Teddy stürze, bleiben zwar aus, aber ich habe zumindest schon mal kurz drüber nachgedacht. Zweikämpfe bleiben es trotzdem.

08:10 Uhr morgens. Die Kontrahenten Terrible Teddy und Baba Soft gehen in den Ring – also in den Hausflur. Teddy riecht, dass Baba etwas in Eile ist und setzt zum zeitraubendsten aller Powermoves an: der laute, aber leblose Kartoffelsack. Einem trotzenden Kind die Schuhe anzuziehen ist ungefähr so easy wie eine Flasche Wein mit Boxhandschuhen zu öffnen.

Teddy nimmt augenblicklich die Haltung eines Menschen mit intakter Muskelfunktion an und überrascht sogar mit einem Lächeln. Die aufgeheizte Stimmung löst sich in Luft auf.

Ich weiß nicht, warum, aber ich bekomme jedes Mal Schweißausbrüche, wenn Teddy bockt. Immer mit dabei: Flashbacks zu Zeiten, als man sich nach exzessiven Partys auf dem Heimweg schämte und den Blicken der Passanten auswich, während sich der Kumpel gerade lautstark ins Gebüsch übergab. Jeder weiß, was los ist. Es ist so gut wie jedem schon mal passiert, aber so richtig sozial akzeptiert ist es trotzdem nicht. Und so neugierig wie damals die Passanten auf der Straße schauten, glotzt jetzt der Nachbar von untendrunter. Und was tue ich? Mich schämen, als wäre mein Sohn eine kotzende Alkoholleiche.

Zurück zu besagtem Morgen. Teddy hat mich aus der Reserve gelockt und ich stelle fest, dass ich einen elterlichen Handgriff aus längst vergangenen Zeiten anwende: Das wütend bestimmte Reißverschluss Zurechtzuppeln. In dieser Sekunde denke ich daran, wie meine Mutter diesen Handgriff bei mir angewendet hat und muss lachen. Teddy nimmt augenblicklich die Haltung eines Menschen mit intakter Muskelfunktion an und überrascht sogar mit einem Lächeln. Die aufgeheizte Stimmung löst sich in Luft auf.

Aber mal ernsthaft: Trotzende Kinder sind – nüchtern betrachtet – Idioten.

Auf dem Weg in die Kita denke ich nach. Sollte mein Powermove in der Trotzphasen-Wrestling-Liga etwa sein, immer der Bessergelaunte zu sein?
Mein Vater hat immer gesagt: „Lass dich nicht auf eine Diskussion mit Idioten ein, denn auf ihrem Niveau haben sie Heimvorteil.“ Jetzt stehe ich da und nenne meinen Sohn einen Idioten. Aber mal ernsthaft: Trotzende Kinder sind – nüchtern betrachtet – Idioten. Im Idealfall bleiben sie nicht so aber für den Moment des Trotzes, in dem sie sich auf den Boden werfen, grundlos schreien, mit der Schaufel schmeißen, verhalten sie sich wie – sorry – Idioten.

Wenn ich mir die Macht aneignen könnte, nichts darauf zu geben, was Passanten in dem Moment von mir denken, hätte ich dann die Trotzphase gehackt? Bin ich so programmiert, dass es mir sofort unangenehm wird wenn mein Sohn – der offensichtlich noch nicht Herr seiner Synapsen ist – laut oder gar trotzig wird? Sind denn die Rollen auch immer so eindeutig verteilt wie beim Wrestling? Ist Baba Soft immer der Gute und Terrible Teddy immer der Böse?

Leider beherrscht Teddy noch kein Mario Kart, aber vielleicht wäre es ja eine legitime Methode, Interessenskonflikte in der Kindererziehung zu lösen.

Ich kann definitiv einräumen, dass ich morgens schon den ganzen Tag minutiös geplant vor Augen habe und deshalb vielleicht nicht mit der nötigen Leichtigkeit in etwas so Banales wie Jacke anziehen gehe, wie ich vielleicht sollte. Aber wenn ich mir meine Laune durch einen Zweijährigen vermiesen lasse, der seine Jacke nicht anziehen möchte, bin ich dann vielleicht der Idiot?

Lernt Teddy vielleicht das Zusammenreißen wenn ich mich zusammenreiße? Vielleicht sind Terrible Teddy und Baba Soft gar keine Kontrahenten, sondern ein ungleiches Tag Team! Leider beherrscht Teddy noch kein Mario Kart, aber vielleicht wäre es ja eine legitime Methode, Interessenskonflikte in der Kindererziehung zu lösen. Wäre eine Überlegung wert. Und übrigens: Sorry, dass ich eure Kinder Idioten genannt habe.

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