Das München-ABC: L wie Land
München ist wahnsinnig schön – und manchmal auch ein bisschen langweilig, spießig und streng. Zu sauber und zu geregelt. Wenn dir auch jedes Mal auf der Isar-Brücke die Knie weich werden und dich aber nichts mehr aufregt als unsere Öffnungszeiten, Tanzverbote und Mutlosigkeit, dann bist du hier genau richtig. In unserem ABC schreiben wir auf, was wir an dieser Stadt unendlich gut, aber auch ziemlich beschissen finden. Diesmal: Stadt vs. Land.
Ach, München und das Land. Diese Beziehung ist schon irgendwie special. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Stadt- und Landmenschen wahrscheinlich in keiner anderen deutschen Großstadt so nah beieinander leben wie hier. Manchmal ist es nur eine fünfzehnminütige S-Bahn-Fahrt vom Hauptbahnhof und man findet sich mitten auf dem Land wieder. Auf einem Marktplatz mit einer einzigen Sparkassen-Filiale, dem obligatorischen "Bella Italia"-Italiener, der im Sommer auch Eisdiele ist und einer Parkbank, auf deren Lehne die Dorfjugend für gewöhnlich abhängt. (Ohne Wertung!)
Die meiste Zeit klappt das Zusammenleben zwischen Stadt und Land zum Glück ganz gut, wenn die Stadtmenschen nicht gerade über die "Bauern" schimpfen, die am Wochenende mit der S-Bahn Richtung Ostbahnhof "reinfahren", um dort für acht Euro in 60 Clubs zu feiern. Oder die Landmenschen die Münchner belächeln – für ihr unbeholfenes "Preißn-Bairisch", ihre seltsame Schickeria und ihre absurden Mietpreise, die doch "koa Mensch dazoin ko". Können wir auch nicht, aber dafür sparen wir dann halt am Urlaub.
Die Münchner belächeln die "Bauern", die am Wochenende mit der S-Bahn "reinfahren", um hier für acht Euro in 60 Clubs zu feiern.
Der Münchner hat einen seltsamen Bezug zum Land. Zum einen fahren wir wahnsinnig gerne raus, genießen es, endlich einmal weiter schauen zu können als nur bis zum nächsten Yoga-Studio. Wir beneiden die Menschen vom Land dafür, dass sie das immer haben. Wir stellen uns vor, dass ihr Leben wesentlich entspannter abläuft – dass es auf dem Land eine Ruhe gibt, vor allem eine innere, die man in der Stadt gar nicht haben kann. Dass Oberflächlichkeiten hier nicht ganz so wichtig sind. Dass es zwischen Brow Bar, Wimpernverdichtung und Gucci-Shirts auch noch wichtigere Themen gibt.
Auf der anderen Seite belächelt der Münchner das Land aber auch. Schau mal. Alles ein bisschen stehen geblieben hier, alles ein bisschen nice-try, aber halt nicht so geil und großstädtisch wie bei uns. Nett gedacht, niedlich gemacht. So ist es doch eine seltsame Doppelmoral, dass wir Dinge, die in der Stadt auf Land machen, wahnsinnig cool finden – aber sobald das Land versucht auf Stadt zu machen, finden wir es nur peinlich. Wenn wir unsere Landsehnsucht hier mit Kasspatzn in "alpenländlicher Atmo" stillen – warum darf andersherum keine Stadtsehnsucht auf dem Land gestillt werden?
Wenn wir unsere Landsehnsucht hier mit Kasspatzn in "alpenländlicher Atmo" stillen – warum darf andersherum keine Stadtsehnsucht auf dem Land gestillt werden?
Das finde ich sehr gefährlich, denn München wäre ohne sein Land nicht dasselbe. Wir können uns nicht einfach alle Land-Vorzüge à la Wochenendausflug, Ski fahren und bayerische Seen heraus picken und uns über den Rest lustig machen. Eigentlich müssten wir uns nämlich über uns selbst lustig machen: Während die Kinder in meiner Grundschulklasse noch glaubten, Kühe seien lila, wissen Landkinder in dem Alter schon, wie man richtig anmelkt.
An lila Kühe glaubte ich zum Glück nie – meinen Großeltern in Murnau sei Dank. Dafür habe ich, naives Stadtmädchen, bis heute weder eine Ahnung davon, dass Deliveroo außerhalb des mittleren Rings nicht mehr liefert, noch erkenne ich Pflanzen an ihren Blättern. Ich gehöre also genauso zu den Stadtmenschen, die im Dezember am Elisabethmarkt nach Mangos aus der Region fragen. Fuck. Also bitte, lieber Münchner, ein bisschen weniger Arroganz dem Land gegenüber. Da können wir vielleicht noch a bisserl was lernen.