Heute noch Champagner-Party, morgen Münchner Tafel?

© Anna Rupprecht

In Print-Zeitschriften gehört es dazu, dass der Herausgeber auf der ersten Seite die Stimmung, Meinung oder Richtung der jeweiligen Ausgabe einfängt. Warum gibt es das auch nicht online?, haben wir uns gefragt. Denn genauso schwirren jede Woche Gefühle, Stimmungen und Meinungen durch München, die wir zwar mitbekommen, aber nirgends festhalten. Diese Kolumne ist der Platz, an dem ich all meine Gedanken zu München und dem, was mir diese Woche in der Stadt begegnet ist, sammle. Diesmal: Sich reich oder arm fühlen – das geht in München an einem einzigen Tag.

Gestern las ich bei der SZ über die aktuellen Ergebnisse vom Schuldneratlas 2018: Jeder elfte Münchner ist bankrott. Das wäre an sich noch nicht ganz so schockierend, wenn die Zahl nicht erstens ständig steigen würde – im letzten Jahr alleine schon um fast fünf Prozent! – und, im Gegensatz zu anderen Großstädten, bei uns nicht die Mittelschicht viel stärker betroffen wäre als anderswo. Vor allem als älterer oder geschiedener Mensch hat man es nicht gerade leicht in München, schreibt die SZ – ich muss dagegen sagen: Jeder, der kein altes Geld von seinen Eltern in Aussicht hat, hat es nicht gerade leicht in München. Denn das Einkommen reicht vielleicht zum Leben, aber niemals zum Sparen.

Heute kann man froh sein, wenn man irgendwann in eine richtige Wohnung ziehen kann – heißt: in eine, in der man auch mal das Zimmer wechseln kann.

Geschweige denn für richtig große Anschaffungen wie eine Eigentumswohnung, ein fettes Auto, ein Grundstück, eine Wertanlage, etwas, das man weitergeben könnte. Früher war noch klar: Fleiß wird belohnt. Wer viel arbeitete, konnte sich viel leisten. Mein Opa war selbstständiger Dachdecker mit einem eigenen Betrieb, Hauptschulabschluss und Ausbildung, und wohnt heute im eigenen Haus in der Fasanerie. Heute kann man dagegen froh sein, wenn man irgendwann in eine richtige Wohnung ziehen kann – heißt: in eine, in der man auch mal das Zimmer wechseln kann. Und das obwohl man Bachelor, Master, Doktor und 50-Stunden-Woche hat.

Auch ich habe Angst, auch ich spüre das. Gleichzeitig, weiß ich aber auch gar nicht, wo ich überhaupt anfangen soll – wie kann ich zumindest ein bisschen was für die Rente zurücklegen? Welche Anlagen lohnen sich noch? Bekommen wir überhaupt noch eine staatliche Rente in vierzig Jahren? Wie teuer werden dann die Mieten sein? Und wie kann ich trotzdem noch gut leben in München, also so, dass ich nicht mehr die billige Pasta kaufen muss, sondern auch mal auf den Wochenmarkt gehen kann? Ich arbeite ja schließlich.

Sich reich oder arm fühlen – das geht in München manchmal schon an einem einzigen Tag.

Sich reich oder arm fühlen – das geht in München manchmal schon an einem einzigen Tag. So wie letztens, als ich nachmittags über den Alten Nordfriedhof spazierte und die Essensausgabe der Münchner Tafel entdeckte. Ich habe nicht gestarrt, musste ich auch gar nicht, das ungute Gefühl im Magen hatte ich auch so. Wer garantiert mir, dass ich mich da nicht auch einmal anstellen muss? Und das obwohl ich immer gearbeitet habe, so wie einige der Bedürftigen, die hier jede Woche für Lebensmittel stehen? Keiner, eben.

Am Abend war ich dann in einem Outfit, das ich mir eigentlich gar nicht leisten kann, bei einem Store Opening in der Theatinerstraße, auf dem Moët ausgeschenkt wurde. Mit meinen Freunden, die auch alle nur in winzigen Ein-Zimmer-Wohnungen leben, weil ihr Gehalt eigentlich auch winzig ist. Als ich dann wiederum viel zu spät heim wollte und natürlich ein Taxi nehmen musste (ich hatte dafür ja umsonst getrunken), fuhr ich mit einer 83-jährigen (!) Frau nach Hause, die 400 Euro Rente bekam. Ich war so verwirrt und verängstigt von diesem Tag – ich weiß gar nicht, wo ich überhaupt dazu gehöre. Zu dem einen Extrem oder zu dem anderen? Denn recht viel mehr gibt es auch bald nicht mehr in München.

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