Von Neukölln nach Untergiesing: München und sein schlechter Ruf
Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.
"München ist besser als sein Ruf". Vor Kurzem hab ich mich dabei erwischt, wie mir dieser Satz entfleucht ist. Habe ich gerade wirklich München verteidigt? Was hat das zu bedeuten? Bin ich jetzt angekommen? Habe ich den Trennungsschmerz von Neukölln jetzt endgültig verwunden?
Wie es mit so vielen Dingen ist, entfaltet auch München all seine Facetten erst mit der Zeit.
In Berlin herrscht ein sehr einseitiges Bild von der bayerischen Hauptstadt: Spießig, lahm, sauber, deutsch und snobby. Bevor ich nach München gezogen bin und immer nur ein paar Tage mit meinen Freunden in Bayern verbracht habe, wurden diese Klischees zugegebenermaßen nicht sehr wirksam entkräftet: Denn im direkten Vergleich mit Neukölln ist die Stadt einfach tatsächlich sehr ruhig, sauber, aufgeräumt – und ja, auch ein bisschen lahm (ich freue mich auf eure wütenden Facebook-Kommentare auf Bairisch).
Meine München-Besuche fühlten sich an wie kleine Stadtflucht-Wellness-Ausflüge. Aber wie es mit so vielen Dingen ist, entfaltet auch München all seine Facetten erst mit der Zeit. Heute weiß ich: Auch, wenn definitiv nicht alle Klischees gelogen sind, ist in Wahrheit alles ein bisschen komplizierter – und München wird seinem Ruf nur teilweise gerecht.
München ist eine entzerrte Metropole mit kleineren, sozialen Bubbles.
Wie jede Metropole ist auch München, in dem tatsächlich vergleichsweise Law & Order herrscht, ein Makrokosmos. Viele kleine Welten befinden sich auf engem Raum in der Stadt. Nur eben nicht ganz so eng, wie ich es bisher kannte (und es geliebt habe): Sie prallen hier nicht so explosiv aufeinander wie in Neukölln – von dem ich es gewohnt war, dass zugezogene, reiche Designer aus New York weinend in Armen von Urkreuzberger Herthafans liegen und Porschefahrer an der Sonnenallee halten, um sich Falafel für 50 Cent abzuholen.
Aber: Auch all diese Welten existieren in München. Man stolpert nur nicht so plötzlich und unerwartet in sie hinein. Man muss sie suchen. Aber es gibt sie: Neben den offensichtlichen Anzugträgern in ihren Benzern und den Pferdemädchen aus dem Umland gibt es eben auch die Ethnohippies, die Designer-Hipsterkids, die Technojünger ganz in schwarz, die Boazn-Originale, die dubiosen Kioskbesitzer, die schlechtgelaunten Urgesteine und die Ökomuttis. München ist eine entzerrte Metropole mit kleineren, sozialen Bubbles.
Es braucht eben ein bisschen, bis man zum Kern vordringt.
Umso spannender ist es, wenn man eine von ihnen entdeckt und nach und nach versteht, dass auch eine so aufgeräumte und scheinbar lahme Stadt Platz für jede Farcon bietet. Und deswegen ist München besser als sein Ruf: Es braucht eben ein bisschen, bis man zum Kern vordringt.