Der schlimmste Tag des Jahres: Die After-Wiesn-Depression
Aus is’ und gar is’ und schad is’, dass’ wahr is’ – wenn das Riesenrad ein letztes Mal erstrahlt und die Wunderkerzen beim großen Wiesnfinale angezündet werden, dann ist sie nah, die schlimmste Zeit des Jahres! Mein persönlicher Aschermittwoch im Oktober. Meine Fastenzeit in allen Belangen. Der abrupte Beginn der stadn’ Zeit: Die "After-Wiesn-Depression" ist ein Phänomen, welches nur für die Münchner*innen ein Begriff ist. Es ist für Touristen nicht nachvollziehbar.
Wie auch? Die Wiesn ist ein Ausnahmezustand für die ganze Stadt. Weit über die Theresienwiese hinaus. Sie tangiert Beziehungen, Gesundheit, Geldbeutel und Firmenperformances. Sie fordert den gesunden und geschundenen Menschenverstand. Der Wahnsinn ist jetzt wieder vorbei. Jetzt beginnt viel, viel mehr als einfach nur die Zeit nach einem Volksfest. Meine Endorphinspeicher sind komplett leer. Der Wäschekorb voll. Pfiat di und Servus, liabe Haferlschua!
München wird zum menschlichen Übergangsjäckchen. Ohne konkrete Mission. Nix gscheit’s. Wie sieben Tage Montag.
Gestern noch das Grande Finale im Wiesnzelt. Und heute beginnt der Rest des Jahres. Es ist der volle Kontrast. In your face! Ein Hard-Cut im Leben aller Münchner Wiesn-Fans. Bis ich mich wieder aus dem Haus traue, also quasi bis zum ersten Weihnachtsmarkt, ist München ein menschliches Übergangsjäckchen. Ohne konkrete Mission. Nix gscheit’s. Wie sieben Tage Montag.
Nun beginnt eine neue Zeit: Früchtetraum-Tee statt Wiesnbier.
Nachdem ich mich fast jeden Tag durch die vollen Gänge der Wiesn quetschte, jeglichen unfreiwilligen Körperkontakt mit der Normalität dieser verrückten Zeit wegargumentierte, beginnt nun die Zeit der kleinen Grüppchen. One-on-One’s im Freundeskreis statt großes Wiedersehen mit alten und neuen Bekannten. Früchtetraum-Tee statt Wiesnbier. Abendreservierung im Couch-Zelt. Fad wie eine emotionale Blade Night.
Während der ganzen Wiesnzeit war es vollkommen wurscht, wie das Wetter wird. Es hätte schneien können. Bodenfrost. Alles. Ich hätte trotzdem meine kurze Lederhose angezogen. Denn die Wärmerezeptoren im Beinbereich können interessanterweise einfach ausgeschaltet werden.
Auf einen Schlag realisiere ich die herbstliche Kälte und den frühen Sonnenuntergang.
Über zwei Wochen Schlafentzug. Immer dieses verlogene „nur mal Drüberlaufen. Nur kurz in den Biergarten. Nur zwei Mass.“ Stets eine gut gespülte Kehle. Mit Bier aus schlecht gespülten Krügen. Viel Bier!
Die medizinische Einordnung für einen Kater lautet unter anderem "allgemeines Unwohlsein." Das passt. Denn für mich beginnt nun ein wochenlanger Kater. Wochenlanges Unwohlsein. Auf einen Schlag realisiere ich die herbstliche Kälte und den frühen Sonnenuntergang. Es ist so schlimm. Es ist die After-Wiesn-Depression.