Münchner Bürostorys #1: Coworking in der Schreinerei
Jeden Morgen verlassen wir das Haus und pilgern auf den verschiedensten Wegen an die unterschiedlichsten Orte, die aber eines gemeinsam haben: Sie sind unser Arbeitsplatz und hier verbringen wir einen großen Teil unseres Tages. Aber wie sieht es in den Büros dieser Stadt eigentlich aus und was verbirgt sich hinter den Türen und Fassaden der Münchner Arbeitswelt? Vergesst Homestorys und fröhnt eurem Voyeurismus im ersten Teil unserer Münchner Bürostorys: Viel Vergnügen in der Schreinerei!
Ich erinnere mich ziemlich genau an den Moment vor ein paar Jahren, als ich das erste Mal durch das Tor in der Marsstraße 13 – nur ein paar Türen weiter vom Café Kosmos – trat und kurz stehen bleiben musste. Nicht, weil ich mich nicht auskannte, sondern weil ich es so unreal fand. Inmitten des Hauptbahnhofviertels, das ja nicht unbedingt einen städtebaulichen Schönheitspreis verdient hätte, stand ich plötzlich in einer kleinen Innenhof-Oase. Damals war ich nur Besucher, aber auch seitdem ich hier arbeite, freue ich mich jedes Mal, wenn ich den Hof betrete, um die Ecke gehe und das einstöckige Gebäude mit den großen Fenstern vor mir auftaucht. Willkommen in der Schreinerei!
Regelmäßig gesägt und gehobelt wird hier schon eine Weile nicht mehr. Höchstens ein bisschen Holz gehackt, um den alten Ofen anzuheizen, der im Winter für wohlige Wärme sorgt. Im Jahr 2012 bekam die Crew rund um Zeitjung und Hauskonzerte die Chance die ehemalige Schreinerei anzumieten und sie zu einem großen Gemeinschaftsbüro umzufunktionieren. Gesagt, getan. Die Jungs legten sich ins Zeug, rissen in einer Hau-Ruck-Aktion die Decke ein, tapezierten die Wände, besorgten Möbel, Pflanzen, Lampen, Teppiche und bauten eigenhändig eine Küche. Vom hauseigenen Musikstudio aka Proberaum ganz zu schweigen.
Das Ergebnis? Ein loftartiges Gemeinschaftsbüro, das jedem Interior-Blogger oder Pinterest-Opfer Herzchen in die Augen zaubert. Dabei ist es hier alles andere als perfekt durchgestylt und genau das macht diesen ehrlichen Charme ja auch aus. Die Dinge und Möbel, die den Raum zu dem machen, was er ist, stehen hier nicht aus innenarchitektonischer Berechnung, sondern weil man eben eine Küche braucht und Sofas und eine Kiste fürs Pfand und Stühle zum Draufsitzen machen bekanntlich auch Sinn.
Genau so zusammengewürfelt wie die Einrichtung, sind auch die Charaktere, denen man in der Schreinerei begegnet. Hier ist jeder Tag anders und selbst nach Wochen oder Monaten trifft man immer wieder neue Gesichter, die hier ein- und ausgehen. Was aber alle gemeinsam haben: Sie sind irgendwie kreativ. Da sitzen junge Online-Journalisten neben Filmemachern, Grafiker neben Musikern, Barbesitzer neben Leuten, die irgendwie alles machen oder bei denen man sich gar nicht immer so sicher ist, was genau sie eigentlich alles machen oder womit sie ihr Geld verdienen. Der Opa würde sagen: "Hat hier eigentlich irgendjemand was Gscheites gelernt?"
Die Antwort auf diese Frage kann man mit einem klaren "Jein" beantworten, aber hey, heutzutage und so. Da sind die jungen Leute eben kreativ, dynamisch, innovativ, kreativ und manchmal auch doch gar nicht mehr so jung. Auf jeden Fall legen sie Wert auf eine gesunde Work-Life-Balance und der gemeinsame Arbeitsplatz wird auch zu einem Ort, an dem man gemeinsam kocht, isst, trinkt, lacht, sich auf den Sack geht oder auch feiert. Wer schon mal von den legendären Silvesterpartys in der Schreinerei gehört hat oder sogar die Ehre besaß, eingeladen gewesen zu sein, weiß genau, worum es geht.
Kann gut sein, dass ihr jetzt neidisch vor eurem mobilen Endgerät sitzt und gar nicht recht glauben könnt, dass es in München noch Platz für solche Orte gibt und euch ähnlich wie ich vor ein paar Jahren denkt: "Boah, will ich auch." Aber ihr dürft nicht vergessen: Wie in jeder guten und vor allem überdimensionierten WG kann es auch mal so richtig anstrengend werden. Ohne ein bisschen Küchendienst, Klopapier-Organisation und Pfandflaschen-Verantwortung läuft der Laden eben auch nicht.
Nichtsdestotrotz ist klar: Hier zu arbeiten und Teil der Schreinerei-Gang sein zu dürfen, ist ein echter Glücksfall. Kein Wunder, dass wir damals sofort zugeschlagen haben, als zwei der raren Plätze frei wurde in der Innenhof-Oase, von der man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es vielleicht doch nur eine Fata Morgana ist.
Wer arbeitet hier // Die Teams von Zeitjung, Hauskonzerte und Mit Vergnügen München, dazu Freiberufler aus den verschiedensten Sparten.
Seit wann // Die Schreinerei ist seit 2012 ein Büro.
Wie viele Leute arbeiten hier // Es gibt zehn Arbeitsplätze. Dazu kommen Musiker, die im Studio proben und diverse Leute, die regelmäßig ein- und ausgehen.
Wo gibt's Mittag? // Lachssuppe im Café Stockholm, Hot-Dogs im Bufet, Reisnudeln im Krua Thai Imbiss und vegane Bowls im Frischfutter. Oder Pasta von Peter.
Was ist special // Holzofen, Hängematte und die Maus des Hauses.
Die Schreinerei | Marsstraße 13, 80335 München