Frühstück aus der Hölle – Warum ich brunchen gehen nicht verstehe
Irgendwann ist es soweit. Da beginnt man seine wochentägliche Lebenszeit auf regelmäßiger Basis mit Dingen zu verbringen, die dafür sorgen, dass man plötzlich Bewirtungsbelege sammelt, genau weiß, wann welcher Feiertag ist – weiterhin ohne einen Schimmer von deren Bedeutung zu haben – und sich über deren günstige Verteilung übers Jahr hinaus freut, als wäre jedes Mal Weihnachten, auch wenn nur Fronleichnam (was passiert da?) ist.
Genau zu diesem Zeitpunkt verändert sich auch die Einstellung zu den letzten beiden Tagen der nach dem ISO-Standard 8601 genormten Woche – gemeinhin bekannt als: Wochenende. Plötzlich verschiebt sich der Biorhytmus und aus nachtaktiven Partymäusen, die tagsüber ihren Rausch ausschlafen und deren Nahrungsaufnahme sich auf Spezi und Fertigpizza beschränkt, werden tagaktive Geldhamster, die allerhöchstens Mal einen Wick Medinait-Rausch haben, aber umso mehr Wert darauf legen, in welcher Form sie ihre Kalorien zuführen.
Falls ich mal in die Hölle komme, gibt es zwei mögliche Szenarien: Ich werde auf ewig fotografiert oder ich muss brunchen gehen.
Der Party-Exzess weicht dem Planungs-Exzess und das Wochenende wird vollgestopft mit „Aktivitäten“, die einen „runterbringen“ – von der Arbeit, nicht vom Rausch. Ganz oben auf der Liste dieser Dinge, die man tut, um sich vom fiesen Alltag zu erholen und sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen: Brunchen. Gehen. In ein Lokal. Am liebsten am Sonntag.
Falls ich mal in die Hölle komme, gibt es zwei Szenarien für meine personalisierte Strafe, die mir der Wächter der Unterwelt auferlegen wird: Entweder ich muss auf ewig vor einer Fotokamera posieren oder ich muss brunchen gehen. Zwei Horrorvorstellungen, die allerdings ganz gut zusammen passen – zumindest, wenn man mal schaut, was man bei Instagram so unter den Hashtag #brunch findet. Viele Selfies. Viel Rührei. Viele Selfies mit Rührei.
Nur weil der Käse fotogener auf dem Teller liegt als zu Hause, ist das kein Grund selbiges dafür zu verlassen.
Bevor es da jetzt zu Missverständnissen kommt: Ich habe absolut nichts gegen ein tolles Frühstück oder von mir aus auch Brunch – auch wenn ich dankend auf diese eckige Wortschöpfung verzichten kann. Aber ich will dafür im Idealfall, außer zum Semmeln holen, das Haus nicht verlassen müssen und auch nicht für viel zu viel Geld an einem viel zu kleinen Tisch Sachen essen, die ich auch „ganz einfach zu Hause nachkochen kann“, wie mir jeder Fernsehkoch bestätigen wird.
Die Frage ist doch auch, ob hier kochen die Tätigkeit der Brunch-Zubereitung richtig beschreibt. Wenn man die meisten Frühstücksangebote so anschaut, ist es ist doch viel mehr ein einziges schneiden, drappieren, belegen, anrichten und im allerbesten Fall rühren – Ei und so. Das Einzige, was kocht, ist der Kaffee. Hat alles seine Daseinsberechtigung, aber nur weil der Käse fotogener als zu Hause auf dem Teller liegt, ist das kein Grund selbiges dafür zu verlassen.
Dann muss ich mich noch zwischen Fitness-, Genießer- und Schlemmerplatte entscheiden und homöopathische Dosen Orangensaft aus Reagenzgläsern trinken.
Es widerspricht doch außerdem jeglicher Logik. Der Sinn des Frühstücks besteht doch darin, mir den Start in den Tag erst zu ermöglichen – wie ein Blick auf jede clevere Cornflakespackung beweist. Der Weg zum Brunch außer Haus – und damit meine ich nicht nur den Weg von meiner Haustür bis ins Lokal – ist einfach viel zu weit, viel zu aufwändig und mit viel zu viel Verpflichtung verbunden, als dass mich das auch nur im Entferntesten entspannen könnte.
Von Genuss ganz zu schweigen. Reservieren, aufstehen, im schlimmsten Fall sogar den Wecker stellen, waschen, anziehen (vermutlich leider keine Winnie-the-Pooh-Jogginghose), Zähne putzen. Und das alles noch bevor man etwas gegessen hat. Nur, um sich dann noch zwischen Fitness-, Genießer- und Schlemmerplatte für zwei entscheiden zu müssen und für fünf Euro homöopathische Dosen Orangensaft aus Reagenzgläsern zu trinken.
Beim hippen Brunchbuffet gibt es keinen Spuckschutz. Da lobe ich mir die guten alten Jugendherbergen und Kurhotels, da kann Omi sogar ihr Gebiss rausrutschen und der Eiersalat bleibt trotzdem verschont.
Dazu dann noch lauter gackernde Menschen, denen man beim Rühreiessen zuschauen muss. In diesem Motiv findet auch der beste Instagram-Filter seinen Meister und man muss fast froh sein, dass man eben noch nichts gegessen hat, denn der Mageninhalt würde vermutlich den Wunsch mit einem teilen, seinen aktuellen Aufenthaltsort auf der Stelle zu verlassen.
Der Höhepunkt meiner Abneigung gegen dieses fast schon gesellschaftskulturelle Event ist aber erst dann erreicht, wenn es ein Buffet gibt. Denn hier tun sich wie sonst nirgends menschliche Abgründe auf und man hat schon alle sieben Todsünden begangen, bevor man überhaupt beim Rührei angekommen ist. Außerdem gibt es in hippen Läden mit Brunchbuffet meistens keinen Spuckschutz. Da lobe ich mir die guten alten Jugendherbergen und Kurhotels, da kann Omi sogar ihr Gebiss rausrutschen und der Eiersalat bleibt trotzdem verschont.
Und manchmal liege ich dann im Bett, drappiere den Käse schön auf dem Brot und mache ein Foto davon. Aber nur für mich und in meiner Winnie-the-Pooh Jogginghose.
Also ganz ehrlich, ich scheiß’ auf Schlemmerplatte und Fitnessfrühstück, wenn ich auch einfach Käsebrot, Müsli und Kaffee in meinem Bett haben kann. Außerdem mag ich mein Rührei nur super schlonzig mit zwei Kilo Butter. Bevor ich dann also enttäuscht vor meiner Etagere sitze und mir mein Brot auch noch selbst belegen muss (!), bleibe ich fürs Frühstück einfach zu Hause und gehe wie jeder normale Mensch zum Abendessen ins Restaurant, wo ich Gerichte bekomme, für deren Zubereitung ich zu faul oder zu unfähig bin. Und ja, manchmal liege ich dann in meinem Bett umringt vom Selbstbaukit für Schlemmerplatten und drappiere den Käse schön auf dem Brot, verziere es mit Kresse und mache ein Foto davon. Aber nur für mich und in meiner Winnie-the-Pooh Jogginghose.