Ist das noch eine Demo oder schon ein Rave? – Die neue Münchner Protest-Kultur
Ich gehe nicht häufig auf Raves. Eigentlich fast nie. Warum weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht weil die immer so weit draußen sind – also das „weit draußen“ einer faulen Maxvorstädterin. Oder weil man sich dann immer Blumen in die Haare stecken muss und sich noch drei Tage später den Glitzer aus der Poritze friemelt. Das denke ich mir zumindest immer vorher. Wenn ich dann da bin, liebe ich es. Das hat vor allem einen Grund: Raves sind zwar wild, laut und bunt, aber immer so schön friedlich. Zumindest die drei, auf denen ich bisher war.
Für den letzten Rave, auf dem ich durch die Menge gewackelt bin, habe ich meine Jeansweste mit dem riesigen Regenbogen-Patch endlich mal wieder angezogen. Ich musste auch gar nicht weit fahren, denn die Sause stieg mitten in der Altstadt. Es war auch mehr eine Parade, aber mit allem, was ein guter Rave so braucht: Viele Menschen (gut gelaunt), Musik (wummernd), Konfetti (aus der Kanone) und Vibes (die positiven!). Der Rave, von dem ich spreche, fand am 10. Mai 2018 statt und war eigentlich eine Demo. Und zwar die gegen die Verschärfungen im Polizeiaufgabengesetz, bei der über 30.000 Menschen in München gemeinsam auf die Straße gingen.
Da steht dann der Mottorrad-Rocker neben der Krankenschwester, die hippe Kunststudentin neben dem Verwaltungsfachangestellten – und alle sind sich zumindest in einer Sache einig.
Ich bin nicht sonderlich politisch. So wie die meisten meiner Freunde nicht sonderlich politisch sind und gefühlt auch ein Großteil der Münchner Bürger nicht sonderlich politisch ist. Demonstrationen sind aber doch nur etwas für politische Menschen, oder? Zum Glück nicht, denn die aktuelle Bewegung bringt nicht nur eine homogene Menschenmasse aus üblichen Verdächtigen "Demonstrations-Profis" und politisch Aktiven auf die Straße. Es geht nämlich nicht nur um einzelne politische Entscheidungen, sondern um Entwicklungen, die dafür sorgen können, eine ganze Gesellschaft zu spalten.
Da steht dann der Mottorrad-Rocker neben der Krankenschwester, die hippe Kunststudentin neben dem Verwaltungsfachangestellten – und alle sind sich zumindest in einer Sache einig. Bester Beweis für den Erfolg: Die NoPAG-Demo war insgesamt die zweite, an der ich ihn zehn Jahren München teilgenommen habe. Aus voller Überzeugung und in der Hoffnung, etwas bewegen zu können – denn auf der ersten, die bereits viele Jahre zurück liegt, wollte ich ehrlich gesagt mehr einem Typen imponieren, als die Welt verändern.
Konfettikanone statt Wasserwerfer
Es kam irgendwie plötzlich, dass sich da etwas drehte in meiner Umgebung. Während auf unserem WG-Balkon oft eher triviale Themen dominieren, ging es jetzt immer mehr um Politik. Und nicht nur auf unserem Balkon, sondern auch im Büro, auf der Straße oder in der Bar – und wenn sogar Mit Vergnügen lange diskutiert, wie politisch wir sein können, dürfen oder müssen, will das etwas heißen.
Die Bestätigung dafür, dass es wohl dem ein oder anderen Münchner ähnlich ging, gab es dann eben am 10. Mai und wird es auch dieses Wochenende, am 22. Juli bei der #ausgehetzt-Demo geben. Dort werden die Raver – äh, Demonstranten – gemeinsam gegen eine Politik der Angst, der Spaltung und für Freiheit, Vielfalt und Demokratie demonstrieren. Wir werden wie an vielen anderen Wochenenden auf unseren Balkon sitzen, Bier trinken und dann gemeinsam losziehen – nur nicht in den Club, sondern auf die Straße.
Und plötzlich ist man uneingeschränkt stolz auf seine Stadt und Mitbürger und liebt München nicht nur für Biergärten, Sauberkeit und schöne Gebäude, sondern für einen Vibe, der einem Pipi in die Augen treibt.
Wenn man an diesem Sonntag mit dem Hubschrauber über die Münchner Innenstadt fliegt, wird man – genau wie am 10. Mai – kaum unterscheiden können, was sich da unten abspielt: Demo oder Rave? Die Menschen werden tanzen, singen, lachen, pfeifen und auch mal schreien, aber es wird friedlich, fröhlich und eben eine fette Party, bei der sich keiner allzu ernst nimmt. Höchstwahrscheinlich weil man sich im Gegenzug von dem ein oder anderen Politiker auch nicht sonderlich ernst genommen fühlt in seinen Wünschen, Forderungen und Ansichten.
Man könnte natürlich einwerfen, dass es aber doch um ernste Themen geht und man vor lauter Konfettikanone die Beweggründe nicht vergessen darf. Aber ganz ehrlich: Was transportiert die grundlegende Message dieser Demonstration besser als ein fetter Rave, bei dem so viele Münchner gemeinsam feiern? Bei dem man plötzlich uneingeschränkt stolz ist auf seine Stadt und Mitbürger und München nicht nur für Biergärten, Sauberkeit und schöne Gebäude liebt, sondern für einen Vibe, der einem Pipi in die Augen treibt. Schimpft mich Demo-Touristin, aber ich weiß ja nicht, was ihr am Sonntag so macht: Ich schmeiß' mich in die Jeansweste und gehe raven – und ausnahmsweise nicht nur, weil es ums Eck ist.