"Was hast du so am Wochenende gemacht?" – München im Freizeitstress
In Print-Zeitschriften gehört es dazu, dass der Herausgeber auf der ersten Seite die Stimmung, Meinung oder Richtung der jeweiligen Ausgabe einfängt. Warum gibt es das auch nicht online?, haben wir uns gefragt. Denn genauso schwirren jede Woche Gefühle, Stimmungen und Meinungen durch München, die wir zwar mitbekommen, aber nirgends festhalten. Diese Kolumne ist der Platz, an dem ich all meine Gedanken zu München und dem, was mir diese Woche in der Stadt begegnet ist, sammle. Heute: In München herrscht Leistungsdruck – auch am Wochenende.
Umso länger ich in der Arbeitswelt stecke, desto mehr wächst mein Unmut über diese eine Frage, die sich wahrscheinlich jedes Büro am Montagmorgen stellt: "Und was hast du so am Wochenende gemacht?". Eine Frage, die als leichter Small Talk getarnt daherkommt, aber eigentlich einer der Schwanzvergleiche überhaupt ist – vor allem im überambitionierten München, in dem es so viele Ausflugsziele und Draußen-Aktivitäten gibt, dass man sie auch dann nicht schaffen würde, wenn das Leben nur noch aus Wochenenden bestehen würde.
Aus dem Prahlen vom möglichst spät nach Hause kommen wurde ein Posten vom möglichst frühen nach draußen fahren.
Mich stresst das. Jetzt nicht so, dass ich freitags nicht einschlafen kann, aber ich habe trotzdem ständig das Gefühl, nicht hinterherzukommen. So wie ich früher nicht hinterhergekommen bin mit all den coolen Partys, auf denen man gewesen sein sollte. Aus dem Prahlen vom möglichst spät nach Hause kommen wurde ein Posten vom möglichst frühen nach draußen fahren. Wenn ich am Sonntagmorgen um halb 9 mein Handy anmache und erst einmal sehe, dass jemand schon eine Alpenüberquerung auf dem Rennradl gemacht hat, dann hab ich direkt ein schlechtes Gewissen.
Und das zieht sich durch mein komplettes Wochenende. Nach einer Woche mit viel Arbeit sehne ich mich vor allem nach Ruhe, nach Sonne und Zeitung lesen, nach in den Tag hineinleben und noch einen Cappuccino bestellen. Aber das ist schwer in München, es verlangt viel Selbstdiziplin und auch Mut. Disziplin nicht ständig aufs Handy zu gucken und damit zu sehen, was die Anderen gerade so treiben und Mut am Montagmorgen einfach zu sagen: "Ich hab am Wochenende gar nichts gemacht! Ich war nur an Orten, die ich schon kannte und die stinklangweilig sind. Ich habe keinen Berg bestiegen, keinen See fotografiert und war in keinem neueröffneten Café. Ich habe keinen Sport gemacht und mich auch nicht weitergebildet. Ich war einfach nur."
Ich habe das Gefühl, unter der Woche schon so viel zu leisten, dass ich nicht auch noch am Wochenende nach meiner Leistung beurteilt werden möchte.
Denn so sehen die meisten meiner Wochenenden nun einmal aus – und auch, wenn ich oft hadere, aber eigentlich liebe ich es! Ich habe das Gefühl, unter der Woche schon so viel zu leisten, dass ich nicht auch noch am Wochenende nach meiner Leistung beurteilt werden möchte – weder im echten Leben mit "Oh!"s und "Ah!"s, noch digital mit Likes und Kommentaren. Ausflugsziele werden ja mittlerweile ebenso wie Reisen schon danach ausgesucht, ob man sie bereits im Feed hat und ob am Ende des Tages ein perfektes Foto dabei herumkommt.
Traurig irgendwie, weil ich manchmal gar nicht weiß, wem die Leute hinterherrennen: wirklich dem Erlebnis oder einem möglichst guten Post? Geht es, eben wie beim Reisen heute auch, denn überhaupt noch darum, das zu machen, worauf man Lust hat oder doch eher darum, was für den Verlauf der Geschichte beziehungsweise Instagram-Story von Vorteil ist? Vielleicht ist das auch egal, sollen die mal machen. Wichtig ist nur, dass man (ich) sich nicht verrückt machen lässt. Und daran arbeite ich mal an allen kommenden Wochenenden.