Warum ist "so nicht München" eigentlich ein Kompliment?

© Anna Rupprecht

In Print-Zeitschriften gehört es dazu, dass der Herausgeber auf der ersten Seite die Stimmung, Meinung oder Richtung der jeweiligen Ausgabe einfängt. Warum gibt es das auch nicht online?, haben wir uns gefragt. Denn genauso schwirren jede Woche Gefühle, Stimmungen und Meinungen durch München, die wir zwar mitbekommen, aber nirgends festhalten. Diese Kolumne ist der Platz, an dem ich all meine Gedanken zu München und dem, was mir diese Woche in der Stadt begegnet ist, sammle. Heute: Das größte Kompliment hier ist "so nicht München"?

Es gibt eine Sache, bei der sich die Münchner einig sind, ganz egal wie verschieden sie auch sein mögen. Vom BWLer bis zum Akademie-Studenten, vom Metal-Fan bis zur Hippie-Königin findet man: München ist grande! Und die Isar erst! Und die Biergärten! Und sowieso: Sobald der Sommer da ist, in der Weltstadt mit Herz, scheinen sie alle selig – und jede München-Krise überwunden. Genauso einig, wie man sich allerdings bei China-Turm, einer kühlen Mass und den Isarbrücken ist, genauso kollektiv begeistert ist man von allem, was so gar nicht nach München aussieht.

So nicht München ist ein Kompliment an die Subkultur, an das Andere, an alles, was weit weg von Lederhosen-Gemütlichkeit und P1-Schickeria ist.

Der neue, unfertige Sushi-Laden im Westend, das bunte Container Collective am Ostbahnhof, ein Spaziergang durchs wilde Schlachthofviertel – all das sind Orte, an denen der Satz "Oooh, das ist so nicht München hier!" garantiert schon gefallen ist. Und all jene, die eben hier auf Zeitungstapeten, alte Fischcontainer oder Viehhof-Baustellen starren, nicken dann zustimmend. Ich nehme mich da selbst gar nicht aus. "So nicht München" ist ein riesiges Kompliment – und das ist nicht nur deshalb seltsam, weil diese Stadt an sich ja schon Kompliment genug ist, sondern vor allem, weil die Münchner eigentlich stolz und gar nicht scharf auf Vergleiche sind.

Denn "so nicht München" führt in viele Richtungen – und die heißen manchmal Berlin, manchmal aber auch Barcelona. Ganz egal, aber es führt in jedem Fall weg von unserer Herzensstadt. "So nicht München" ist ein Kompliment an die Subkultur, an das Andere, an alles, was weit weg von Lederhosen-Gemütlichkeit und P1-Schickeria ist. Das ist dann nämlich wiederum "so München", was unbedingt mit einem Augenrollen ausgesprochen werden sollte. Wenn die Polizei zum fünften Mal um den Gärtnerplatz kurvt, wenn "Fahrräder abstellen verboten" ist, wenn die Miet- und die Bierpreise steigen oder jemand mit dem Porsche die Leopoldstraße entlangfährt.

Nach dem Motto: Schau' her, gibt doch auch coole Sachen in München – und die eigene Rechtfertigung goes on.

So und nun die große Frage, warum wir unsere eigene Stadt mit diesem Satz eigentlich leugnen. Sind wir vielleicht immer noch überrascht davon, was München alles kann? Glauben wir, dass wir uns für die Stadt entschuldigen können, wenn wir "so nicht München" laut aussprechen? Nach dem Motto: Schau' her, gibt doch auch coole Sachen in München – und die Rechtfertigung goes on.

Oder ist es irgendwie auch cool, sich in diesem München-Image zu suhlen? So wie es eben cool ist, München manchmal nicht zu mögen. Und dann zehn Jahre später sagen zu können: "Ach ja, die Regi – die war so nicht München!" aka "Früher war alles besser"? Ich glaube ja, dass dieser Satz tatsächlich als ein Kompliment zu verstehen ist. Denn dass er sich im Moment so häuft, zeigt doch nur, dass sich etwas tut in der Stadt. Dass endlich etwas entsteht neben Schuhplattlern und Schickeria. Etwas, dass vielleicht auch mal länger bleibt als nur eine Zwischennutzung.

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