Die München-Krise: Liegt es an mir oder an der Stadt?

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Jeder Münchner kennt dieses Gefühl – ganz egal, ob er seit immer hier wohnt oder erst vor zwei Jahren hergezogen ist. So sehr man die Stadt auch liebt, in einer gewissen Regelmäßigkeit, kommt sie immer wieder: diese miese München-Krise. Entweder, weil man gerade vier aufregende Tage in Berlin, Stockholm oder Lissabon verbracht hat – oder, weil man einmal mehr einen guten Freund verabschieden muss, der die Isar-Wohlfühloase verlässt und sich aufmacht ins richtige Leben. So kommt es einem zumindest vor.

Denn manchmal fühlt es sich so an, als wäre da draußen erst einmal alles aufregender als unsere Weltstadt mit Herz. Wie auch mit Beziehungen und Lieblingskleidern gilt hier das Prinzip: Das Fremde ist sexy, das Altbekannte eher nicht so. Und so hat man als Münchner alle paar Monate das Gefühl, dann doch schon alles zu kennen und sich ganz furchtbar zu langweilen. Es passiert nichts Neues, überall wäre es gerade besser als hier, denkt man dann. Oder bekommt genau das von einer Freundin erzählt, die durch eben diese Krise geht.

Wenn man einen guten Freund verabschieden muss, der die Isar-Wohlfühloase verlässt und sich aufmacht ins richtige Leben. So kommt es einem zumindest vor.
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Die Kunst: Mach' es dir neu!

München-Krisen-Erprobte wissen, hier hilft nur eines: Abwarten. Den nächsten Tag, der manchmal schon wieder alles viel besser aussehen lässt. Den Frühling, der die Luft hier jedes Jahr aufs Neue verzaubert. Und erst den Sommer, wenn einem jedes Mal wieder das Herz aufgeht, sobald man über Isarbrücken spaziert, mit dem Radl zum Freibad fährt oder in den kalten Starnberger See springt. Dann ist es, als wäre sie nie da gewesen – die München-Krise.

Was aber, wenn die Krise nicht mehr weggeht? Dann sollte man sich fragen: München, liegt es an dir oder vielleicht doch an mir? Denn wer immer nur die selben Dinge tut mit den immer gleichen Leuten, der langweilt sich irgendwann – ganz egal, ob er hier oder in Sydney sitzt. Deshalb: Endlich mal die Liste angehen, mit all den Ausstellungen, die man sehen will, aber dann aus Bequemlichkeit doch nie anschaut.

Die große Kunst vor allem in einer Stadt wie München ist es wohl, sich die Dinge ständig neu zu machen, auch wenn wenig Neues passiert.

Mit all den Orten, an denen man aus Gewohnheit irgendwie nie ist. Manchmal hilft schon eine Viertel-Tour durch Haidhausen, das Westend oder Giesing und das blöde Gefühl von "Ich kenne schon alles hier" löst sich in Luft auf. Oder doch endlich einmal eine Stadtrundfahrt machen? Ein bisschen cheesy ist es, aber machen wir anderswo ja auch. Die große Kunst vor allem in einer Stadt wie München ist es wohl, sich die Dinge ständig neu zu machen, auch wenn wenig Neues passiert.

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Die Münchner bleiben gerne unter sich

Ja, und dann ist da noch die Sache mit den neuen Leuten. Wir lernen nicht deshalb in Berlin und Stockholm schneller jemanden kennen, weil dort mehr oder weniger Menschen leben, sondern weil wir dort ganz einfach anders sind. Vor allem Ur-Münchner sollten sich hier an die eigene Nase fassen: Wie offen sind wir denn wirklich, wenn uns jemand, der gerade hergezogen ist, in einer Bar anquatscht? Eben. Aber es ist ja auch verständlich – wer für sein Empfinden Zuhause schon genug Freunde hat, der wirkt weder sonderlich offen, noch hat er neue Leute überhaupt auf dem Schirm.

Dementsprechend wird er auch niemand Neues kennenlernen. Aber spätestens, wenn man dann einmal auf einer WG-Party steht, auf der man genau zwei Leute kennt oder sich aus anderweitiger Verzweiflung durch Tinder wischt, wird man merken: Es leben noch mehr als genug Menschen hier, die man noch nie gesehen hat und mit denen man auch keine 56 gemeinsamen Freunde hat. Es gibt diese neuen Leute, man muss sie nur finden – in anderen Vierteln, anderen Freundeskreisen, an anderen Orten.

Wie offen sind wir denn wirklich, wenn uns jemand, der gerade hergezogen ist, in einer Bar anquatscht? Eben.

Geh weg und komm' gerne wieder!

Ja, und wenn das alles nichts bringt, dann ist man wirklich reif für den Umzug. Oder zumindest für einen sehr, sehr langen Urlaub. Ein paar Monate oder Jahre woanders verbringen, das geht ganz gut – wenn man sich aber einmal umschaut, stellt man allerdings fest: Richtige Münchner ziehen irgendwie nie ganz weg. Die, die für immer gehen, sind nie richtig hier angekommen. Und die, die diese Stadt lieben – mit all ihren Höhen und Krisen, die müssen ganz einfach wiederkommen. Die wissen auch irgendwann: "München, es liegt an uns beiden."

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