Von Neukölln nach Untergiesing: Der Outdoor-Münchner

© Anna Rupprecht

Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.

Seit ich einen Camper habe, fühlt sich jedes Wochenende, das ich nicht im Münchner Umland verbringe, verschwendet an. Immer, wenn ich Besuch aus der alten Heimat bekomme, schleppe ich meine Freunde ganz aufgeregt mit meinem Ford Transit zu irgendwelchen Bergseen – nur, um das Glitzern in ihren Augen zu sehen, wenn sie zum ersten Mal türkisfarbenes Wasser vor Bergpanorama sehen. Und das funktioniert immer – denn wer den Wannsee gewohnt ist, den kann so ein Eib- oder Walchensee ganz schön wegflashen. Nix gegen Brandenburg – da ist’s auch schön – aber so ein paar schneebedeckte Wipfel im Hintergrund sind trotzdem schwer zu toppen.

Küsst am Wochenende die Sonne die bayerische Hauptstadt, dann schmeißt sich der Outdoor-Münchner euphorisch in seine hautenge Active Wear.

An diesen Wochenendausflügen kommt man außerdem mit einer ganz besonderen Spezies in Berührung: Mit dem Outdoor-Münchner. Denn wie sich rausstellt, bin ich nicht die einzige Person aus der Landeshauptstadt, die sich für die südbayerische Natur zu begeistern weiß. Küsst am Wochenende die Sonne die bayerische Hauptstadt, dann schmeißt sich der Outdoor-Münchner euphorisch in seine hautenge Active Wear, schnappt sich seine Walking-Stöcke, schwingt sich in sein Auto oder in die BOB und schaut nicht mehr zurück.

Es scheint, als hätte der Outdoor-Münchner eine gespaltene Persönlichkeit, denn während er sich in der Stadt aufhält, legt er meist die typisch-bayerische Grattligkeit an den Tag, beschwert sich über laute Kinder und rasante Radfahrer und zieht meistens eine eher düstere Miene. Sobald er jedoch den ersten Atemzug frischer Bergluft inhaliert, findet eine Metamorphose statt, die ihn zu verdächtig guter Laune zwingt. Sie äußert sich vor allem dadurch, dass er zwanghaft alle fünf bis zehn Minuten „es is a Draum“ oder „herrlich“ sagen muss. Schwungvoll wandert er um Bergseen herum oder zu Aussichtspunkten hinauf und hat die Zeit seines Lebens. Ich kann’s ihm nicht verdenken.

Wie er uns später erklärte, war das nicht mein Fehler, denn er hatte sich eigenes zu diesem Zweck trockenes Holz von zu Hause mitgebracht.

Ein besonders seeliges Exemplar – ich taufte ihn liebevoll Gönnjamin – traf ich vor einigen Wochen am Walchensee. Wir parkten mit dem Camper direkt am Strand und saßen in dieser lächerlich idyllischen Szenerie im Sonnenuntergang um unseren Campingtisch, als er mit zwei Weingläsern für sich und seine Begleitung und einer Flasche Edel-Weißwein in den Händen zu unserem Tisch kam und uns nach einer Zigarette anschnorrte. „Is des ned a Draum?“, sagte er mit einem Glitzern in den Augen und ich war mir nicht sicher, ob es sich vielleicht nicht erst um die erste Flasche Wein handelte, die er heute freudestrahlend geöffnet hatte.

Er kam an diesem Abend noch drei Mal wieder, um nach mehr Zigaretten zu fragen, und jedes Mal sah er ein bisschen glücklicher und besoffener aus. In der Zwischenzeit hatte er ein bilderbuchreifes Lagerfeuer am Strand angezündet, das mich vor Neid erblassen ließ – ich hatte schon eine halbe Stunde lang vergeblich versucht, ein Konkurrenzfeuer anzuzünden. Wie er uns später erklärte, war das nicht mein Fehler, denn er hatte sich eigenes zu diesem Zweck trockenes Holz von zu Hause mitgebracht. Das ist Next Level, mit so viel professioneller Gönnung kann ich nicht mithalten. Ein richtiger Gönnjamin eben! Der es sich übrigens auch gönnte, nach dieser Gönnung noch mit dem Auto weiter zu fahren. Wir blieben und bekamen dafür einen 15-Euro-Strafzettel. Auch eine Form der Gönnung!

Ich kann jedenfalls noch viel vom Outdoor-Münchner lernen – und ich freue mich auf zukünftige Begegnungen mit dieser sympathischen Spezies.

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