Busfahrer-Kolumne #1: Die Pferde im Stall und die Ruhe in der Kraft

© Marie Lechner

Busfahrer sind unsichtbar, erzählt uns Julius Klemz, der früher das Café Bald Neu in Untergiesing betrieben hat. Danach hat er sich bei der MVG zum Busfahrer ausbilden lassen, genießt nun die Kontinuität, Sicherheit und den bequemen Fahrersitz des neuen Jobs. Aber natürlich passieren ihm auch immer wieder verrückte, skurrile, traurige und schöne Geschichten. Und die erzählt er von nun an in unserer Busfahrer-Kolumne.

Es gibt eine Menge Menschen, die in der Früh in die Arbeit, in die Schule, oder nach einer durchzechten Nacht, schnell und bevor es zu spät ist, nach Hause müssen. Und es gibt einen, der die Logistik dafür übernimmt: der Busfahrer. Dafür steht er sogar extra früher auf, kämmt sich sein Haar, macht sich Pausenbrote, betritt das Dunkle der Nacht, fährt zum Betriebshof, meldet sich am Terminal an, hält ein Schwätzchen mit den Kollegen, reißt den einen oder anderen lustigen Witz, erkundigt sich nach Umleitungen.

Er verlässt pünktlich und winkend den Betriebshof und fängt an, die Unberührtheit jedes Morgens zu genießen, wenn alles noch schläft und ruhig ist, und sich die Sonne langsam zeigt.

Er geht noch kurz pinkeln, packt seine Linien-Schilder, geht in die Halle, in der seine Pferde warten, prüft diese auf Verkehrssicherheit, packt sein Frühstück aus, raucht eine Zigarette, meldet sich am Co-Piloten an, damit die Leitstelle weiß, dass er da und auf dem Gaul ist, erkundigt sich, wohin er ausrücken muss, verlässt pünktlich und winkend den Betriebshof und fängt an, die Unberührtheit jedes Morgens zu genießen, wenn alles noch schläft und ruhig ist, und sich die Sonne langsam zeigt.

Auf dem Weg durch den Tag lässt er sich auf die Anforderungen an Massen von Autos, Menschen, Launen, Geschichten, Hitze, Kälte, Staus, rote, grüne und gelben Ampeln mental ein und denkt sich, dass schon alles gut gehen wird. Der Schutzheilige der Busfahrer wird schon mit ihm sein. Die ersten Runden „auf Linie“ laufen wie ein geölter Schiffsmotor. Ruhig, entspannt und ohne größere Vorkommnisse.

Ab 7.30 Uhr geht es los. Der Kampf um den wenigen Verkehrsraum beginnt. Wir ziehen in den Krieg!

Ab 7.30 Uhr geht es los. Der Kampf um den wenigen Verkehrsraum beginnt. Wir ziehen in den Krieg! Und es gibt einen, der darauf vorbereitet ist: der Busfahrer. Jetzt zählt Ruhe. Es zählt, sich nicht stressen zu lassen. Das überträgt sich nämlich auf den kompletten Bus und dann ist da ganz schnell die Sorte Mensch, die nervös auf ihre Uhr tippt, um dem Busfahrer verständlich zu machen, dass er sich um zwei Minuten verspätet hat.

Autofahrer liefern sich nun ein Rennen mit dem Bus, ganz frei nach dem Motto: Umso schneller ich bin, desto früher darf ich an der nächsten roten Ampel warten. Und es gibt einen, der die Ruhe bewahrt: der Busfahrer. Lässig lehnt er seinen Arm aus dem offenen Fenster, lächelt müde auf den Porsche-Cayenne-Fahrer und lässt ihn unnötig Benzin in die Luft jagen, wohlwissend, dass wenn es hart auf hart kommt, er den Porsche-Reiter mit einem Fingerschnipp von der Straße holen kann.

Und es gibt einen, der auch morgen wieder aufwacht und versucht den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren: der Busfahrer.

Manchmal ist Kraftstoff eben nicht alles. Und wenn alle, nach einer Runde Snake-Spielen mit echten Menschen, in ihren Arbeitsstätten und Schulen verstaut sind, verschiebt sich mittags rum das Aufgabengebiet. Dann wollen Omas zum Einkaufen und Mütter mit Kind, Kinderwagen, Smartphone und To-Go-Becher zum Spielplatz gebracht werden. Und es gibt einen, der beim fünfzigsten Absenken des Busses, um den Gehwagen mit an Bord zu nehmen immer noch lächelt. Und einen, der den gefährlich wackelnden Kinderwagen zwar panisch im Innenspiegel beobachtet, aber trotzdem versucht freundlich zu bleiben: der Busfahrer.

Und dann ist es erst einmal ruhig, bevor gegen Abend erneut das Spiel beginnt – neben todesmutigen Rittern auf Drahteseln Richtung Isar. Müde Arbeiter wollen nach Hause, völlig erschöpfte Muttis ebenso, Rentner zu ihrem wohlverdienten Bier und Gangster zum Schaulaufen, Klappe aufreißen und kokettieren an Bushaltestellen und Bahnsteigen. Dann endlich kommen die Pferde in den Stall, werden gefüttert, geputzt und in ihre Box gebracht, bevor sie morgen wieder gesattelt werden, um in den Sonnenaufgang zu reiten. Und es gibt einen, der auch morgen wieder aufwacht und versucht, den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren: der Busfahrer.

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