Kleine, geile Firmen #53 – Bücher zum Nachdenken & Weltverbessern von Komplett Media
Wem wurde nicht schon alles der Untergang prophezeit? Dem Journalismus, der Musikindustrie, dem Fernsehen? Vor allem dem Buch! Kulturpessimisten schwenken schon lange die weiße Fahne und rufen im Chor: Hier gibt’s nichts mehr zu holen! Ein so erfolgreiches und nach wie vor geliebtes Medium wie das Buch einfach kampflos abzuschreiben, wäre – nennen wir es vorsichtig – bequem. Vielleicht braucht es einfach ein bisschen Mut, Kreativität und frische Denkweisen?
Wenn man Julia und Verena und ihren kleinen unabhängigen Buchverlag Komplett Media anschaut, sieht man, wo der Hase mit Schwung und auf neuen Wegen langhüpft – nach oben. Die beiden starteten 2015 und modelten einen schon bestehenden DVD-Verlag kurzerhand zu ihrem eigenen Buchverlag um. Seitdem sprudeln die beiden mehr als Soda-Club, vor Ideen und Energie. Sie stoßen gesellschaftskritische Themen an, wie mit dem aktuellen Buch von David Mayonga Ein Neger darf nicht neben mir sitzen, lassen eine Autorin Pussy Yoga erklären und thematisieren endlich die Frage: Wie der Erstkontakt mit Aliens unsere Gesellschaft verändern könnte.
Einen Buchverlag haben wir euch noch nie als kleine, geile Firma vorgestellt. Zeit wird's. Debütiert mit uns und Julia und Verena!
Warum braucht die Verlagswelt Komplett Media?
Verena: Es gibt tatsächlich in der Verlagslandschaft wenig unabhängige Verlage. Es gibt da wenige, die sich das trauen und ihren eigenen kleinen Verlag starten. Wir haben uns das einfach zugetraut und machen Bücher, die uns auch wichtig sind.
Was bedeutet Unabhängigkeit für einen Verlag?
Julia: Wir können dadurch, dass wir klein und unabhängig sind, einfach tatsächlich machen, was wir wollen. Verena und ich sitzen uns gegenüber, einer hat eine Idee, schaut den anderen an, wir besprechen uns kurz und wenn alles gut läuft, setzen wir sofort um. Das geht bei Konzernverlagen natürlich nicht, da sind oftmals auch noch irgendwelche Geschäftsinteressen dabei. Wir können auch einfach mal unbeschwerter schwierige Themen anpacken.
Verena: Wir können einfach super schnell sein und müssen nicht durch viele Instanzen gehen. Wir sind wendig. Dadurch, dass wir klein und unabhängig sind und dadurch, dass wir das Verlegen in dem Sinne auch nicht gelernt haben, wir kommen aus der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und gehen Dinge deshalb auch einfach anders an.
Welche Themen behandeln eure Bücher?
Verena: Viele gehen über Nachhaltigkeit und Ökologie. Da gehen wir auf unterschiedliche Arten heran, also einmal Sachbücher, die sich wirklich gesellschaftlich damit auseinandersetzen, wie der Stand ist, was sich ändern muss, was die Politik tun muss. Aber auch verbraucherorientiert: Was kann jeder Einzelne im Kleinen tun?
Da wir zwei Frauen sind, liegt uns natürlich das Thema Female Empowerment am Herzen, das wir auch auf unterschiedlichen Arten anpacken. Pussy Yoga ist ein Titel im aktuellen Programm, die Autorin geht Beckenbodentraining mal ein bisschen anders an oder Bye Bye Pille, das sich damit auseinandersetzt, warum es immer noch keine wirkliche Alternative zur Pille gibt und wie schädlich sie eigentlich ist. Also auch ein bisschen Statement.
Julia: Und Naturwissenschaften. Wir beide waren jetzt auch nie die wahnsinnigen naturwissenschaftlichen Leuchten, also dachten wir, es wäre es doch total schön, Naturwissenschaften auch Menschen wie uns näher zu bringen. Das versuchen wir auf einfache und fröhliche Art und Weise. Mit Harald Lesch sind wir da natürlich so richtig gut reingestartet. Wir versuchen aber auch vor allem junge Autoren zu gewinnen, die total Spaß an ihrem Thema haben.
Und das macht glaub ich auch unseren Erfolg aus. Wir setzen nur Themen um, für die wir wirklich brennen.
Sind das dann alles Themen, die euch am Herzen liegen?
Verena: Ja, wir stehen wirklich persönlich komplett hinter all unseren Themen, also machen Dinge nicht nur, weil wir denken, das verkauft sich. Das ist eine Richtlinie, die wir uns beide einfach mal geschworen haben.
Julia: Und das macht glaub ich auch unseren Erfolg aus. Wir setzen nur Themen um, für die wir wirklich brennen. Da versuchst du halt alles, um das Thema nach vorne zu bringen, weil du findest, dass es das absolut verdient hat. Und wenn wir Glück haben, können wir so die Gesellschaft ein bisschen prägen.
Wie findet ihr eure Autoren oder eure Autoren euch?
Julia: Der klassische Weg bei großen Verlagen ist, ein potentieller Autor schreibt ein Konzept und schickt es zum Verlag. Das ist aber nicht unser klassischer Weg.
Verena: Wir kommen entweder vom Thema her oder über die Person. Wir überlegen uns, welches Thema ist spannend und wer könnte es machen. Oder wir finden eine Person wahnsinnig toll und dann schauen wir, worüber sie was zu sagen hätte. Dann schreiben wir denjenigen an und schlagen ein Thema und oft auch schon ein Konzept vor. Je bekannter wir jetzt werden, desto mehr Leute wenden sich natürlich auch an uns.
Wie sieht ein Tag im Verlag aus?
Julia: Zum Glück sieht unser Tag jeden Tag anders aus.
Verena: Wir schmeißen uns eigentlich den ganzen Tag die Ideen zu, einer hat eine Idee, der andere spinnt sie weiter. Und dann kommt bei so einem Buchentstehungsprozess, nachdem man sich mit dem Vertag einig ist, natürlich die Begleitung und Betreuung der Autoren, die ist uns super wichtig.
Julia: Dann machen wir noch alles Mögliche, den Katalog mit der Vorschau, die Titel texten, die Gestaltung der Cover überlegen. Und wenn irgendwann das fertige Buch mit dem LKW aus der Druckerei hier ankommt, sind wir jedes Mal total aufgeregt. Man strickt so ein Buch ja immer in der Theorie, wenn man es dann das erste Mal wirklich in der Hand hält, ist das wie ein kleines Baby, das auf die Welt kommt.
Und wenn wir Glück haben, können wir so die Gesellschaft ein bisschen prägen.
Nachhaltigkeit ist ein großes Thema in euren Büchern – wie verläuft die Produktion bei euch?
Verena: Wir arbeiten mit unterschiedlichen Druckereien und drucken so gut wie alles in Deutschland, das ist uns wichtig.
Julia: Das Buch Mein Herz schlägt grün von Louisa Dellert haben wir zum Beispiel auf Apfelpapier gedruckt, da werden die Apfelreste bei der Saftproduktion gepresst und zu Papier verarbeitet. Wir haben immer FSC zertifiziertes Papier und einen Vertrag mit einer Organisation, die ausrechnen, wie viel CO2 bei der Produktion ausgestoßen wird und das wird dann durch Klimaprojekte kompensiert.
Wie geht’s weiter mit Komplett Media? Was sind eure Pläne?
Julia: Wir sind schon wieder voll im nächsten Programm und sowieso ständig dabei uns neue Bücher auszudenken.
Verena: Und wir versuchen auch außerhalb des Buchhandels Märkte klar zu machen und Partner zu finden. Einfach immer kreativ weiterdenken, was alles möglich ist.
Und wie geht’s weiter mit dem Buch?
Julia: Das Buch wird bleiben. Da sind wir fest davon überzeugt.