Warum die Oktoberfestkollektion von H&M nicht der Untergang des Abendlandes ist

© H&M

Es war kein schlechter Marketing-Coup: Zu den Olympischen Spielen 1972 in München wurden die Hostessen in fesche Dirndl gesteckt und das Bild der Tracht tragenden, hübschen, jungen Münchnerinnen ging um die Welt. Nicht zuletzt weil sich eine von ihnen kurzerhand den damaligen schwedischen Kronprinzen schnappte und heute wohl besser bekannt ist als Königin Silvia von Schweden.

H&M bringt eine Oktoberfest-Kollektion an den Start und mein erster Gedanke ist: Schatz, why?! Mein zweiter: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Maßkrug!

Heute, 47 Jahre später, ist sie immer noch mit ihrem Carl XVI. Gustaf zusammen und der nächste Dirndl-Marketing-Coup steht in den Startlöchern. Diesmal geht's aber nicht von München nach Schweden, sondern genau andersrum, denn der schwedische Mode-Konzern H&M hat es wirklich getan: Ab dem 8. August 2019 ist die erste H&M-Oktoberfest-Kollektion am Start. Mein erster Gedanke: Schatz, why?! Mein zweiter Gedanke: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Maßkrug!

Da man heutzutage leicht dazu neigt, immer eher das Allerschlimmste zu erwarten und Menschen nur die niedersten Absichten zu unterstellen, graut es mir jetzt schon mehr vor der sozial-medialen Diskussion, die die H&M-Tracht auslösen könnte als vor der Kollektion selbst. Die ist nämlich überraschend schlicht und gar nicht mal so hässlich – vielleicht abgesehen von der durchfallfarbenen Hotpants-Lederhose. Ob man am Ende allerdings überhaupt beim schwedischen Modegiganten einkaufen möchte, sei jedem selbst überlassen. Der Dirndbluse prophezeie ich allerdings einen absurd guten Absatz.

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Diese Worte gehen raus an all jene, die sich schon warm machen für ihre Trachtenfaschings-Tiraden, Schürzen-Shaming und Blusen-Bashing. Reißt euch zam!

Viel mehr möchte ich mich jetzt schon bei all den Wiesnbesuchern, Touristen und verirrten Seelen mit singenden Filzhüten entschuldigen, die sich dem Groll und Spott der selbst ernannten Münchner Trachtenexperten aussetzen müssen. Deswegen gehen diese Worte raus an all jene, die sich schon warm machen für ihre Trachtenfaschings-Tiraden, Schürzen-Shaming und Blusen-Bashing. Reißt euch zam!

Ihr wisst doch genauso wenig wie ich, was zum Beispiel eine oberbayerische Gebirgstracht ausmacht, geschweige denn wie man eine Miesbacher von einer Werdenfelser Tracht unterscheidet. Dass das Dirndl erst Jahrzehnte nach dem ersten Oktoberfest in Mode kam, ist vermutlich auch eine neue Info. Ich weiß das zum Beispiel erst seit dreißig Minuten. Aber gut, ich sehe mich auch nicht als Retter einer vermeintlich bayerischen Tradition in Form von emotional und erotisch aufgeladenen Kleidungsstücken.

Ich könnte am Ende nicht mal unterscheiden, ob mir da gerade eine Frau im handgeklöppelten 2000-Euro-Dirndl mit Diamantbesatz oder ein Typ in der H&M-Lederhosen vor die Füße speibt.

Ich könnte am Ende nicht mal unterscheiden, ob mir da gerade eine Frau im handgeklöppelten 2000-Euro-Dirndl mit Diamantbesatz oder ein Typ in der H&M-Lederhosen vor die Füße speibt. Genauso wenig, wie irgendjemand von uns bei einer Blindverkostung eine zamgeschüttete Noagerl-Spaten-Maß von einem Augustiner Edelstoff unterscheiden könnte. Macht aber auch nix, Hauptsache es wirkt und am Ende liegen sich alle in den Armen. Denn mal ehrlich: Wenn ihr in euren Angermaier-Haferlschuhen (bei den Schuhen muss man es ja nicht so eng sehen) auf der Bierbank steht und zu Angels grölt und schunkelt, dann ist die Attitüde plötzlich verschwunden und hat die Würde gleich mitgenommen.

Denkt also dran: Der Trachten-Hate im Jahr 2019 ist mindestens so einfallsreich, innovativ und bemitleidenswert wie die Idee von H&M eine Oktoberfest-Kollektion auf den Markt zu bringen. Lasst uns lieber gemeinsam drüber stehen, Noagerl exen, speiben und speiben lassen und auf der Wiesn verdammt nochmal Ausschau nach schwedischen Kronprinzen halten.

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