Die höchste Alm der Stadt: Schafe hüten auf dem Dach des WERK3 im Werksviertel
Der Blick reicht bis zur Frauenkirche und weil wir ein bisschen Glück haben sogar bis zu den Alpen. Um uns herum schwirren Bienen, der Duft von frischer Erde liegt in der Luft und wir hören entfernt die Schafe blöken. Kurioserweise befinden wir uns nicht etwa auf einem Bauernhof im Münchner Umland, sondern mitten in der Stadt auf dem Dach des WERK3 im Werksviertel-Mitte. Dort sind wir zu Besuch auf der Stadtalm, die auf einer Höhe von 60 Metern über der Isar liegt. Sie gehört zu einem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsprogramm und ihre Schafe wohl zu denen mit der besten Aussicht im Freistaat!
Der Natur etwas zurückgeben, wo es nur geht
Das Konzept des Werksviertel-Mitte ist ziemlich beeindruckend und in seiner Form einzigartig in München. Oder habt ihr schon mal davon gehört, dass Fassaden mit Höhlen für Fledermäuse und Vögel gebaut, Feuchtgebiete auf Dächern installiert und mobile Insektenhotels in einem Viertel aufgehängt wurden? Das Werksviertel-Mitte ist darauf ausgelegt möglichst viel Lebensraum an die Natur zurückzugeben. "Es wird viel wegasphaltiert. Und wir gucken halt, dass wir so viel wie möglich zurückgeben können. Wir nehmen Lebensraum weg, aber wir haben Dächer. Das ist der Lebensraum, den wir zurückgeben können.", meint Sebastian Franz der auf dem WERK3 als Schäfer beziehungsweise "Naturfreund" arbeitet, wie man ihn und seinen Kollegen Philipp Borsdorf im Werksviertel-Mitte nennt.
Im Werksviertel-Mitte werden fast alle Dächer genutzt. Auf dem WERK12 ist eine Grünfläche angelegt, das Dach des Gambino Hotels im Viertel besteht aus Tothölzern, zwischen denen sich Insekten gerne ansiedeln. Am vielfältigsten wird das Dach des WERK3 genutzt. Neben den acht Walliser Schwarznasenschafen (die wirklich erstaunlich groß sind!) leben dort noch acht Hühner, sechs Bienen- und zwei Ameisenvölker. Auf der einen Längsseite des Daches sind Hochbeete angelegt, in denen unter anderem Zucchini, Kohlrabi und Wildblumen für die Bienen wachsen. Zwischen den Holzhütten und dem Plumpsklo stehen Obstbäume und dahinter die Bienenhotels.
Schafe hüten zwischen Hochhäusern und Riesenrad
Hier oben wird von morgens bis abends gewerkelt: Ein recht großer Arbeitsteil scheint das Ausmisten der Ställe und das Mist einsammeln auf der Wiese zu sein. Und das, egal ob es schneit, regnet oder die Sonne mit über 30 Grad vom Himmel brennt. Denn die Tiere sind das ganze Jahr hier oben. Es klingt trotzdem nach dem besten Job der Welt, wenn Sebastian vom Tagesablauf auf dem Dach erzählt. Denn er und Philipp kümmern sich eben um alles: Die Tiere füttern, die Hufe der Schafe pflegen, ihr Fell scheren, den Honig schleudern und dafür sorgen, die Mini-Kreisläufe, die sie auf dem Dach entwickelt haben, am Laufen zu halten.
Es wird viel wegasphaltiert. Und wir gucken halt, dass wir so viel wie möglich zurückgeben können. Wir nehmen Lebensraum weg, aber wir haben Dächer. Das ist der Lebensraum, den wir zurückgeben können.Sebastian Franz
Zum Beispiel wird der Mist aus dem Schafstall nicht direkt weggebracht, sondern wie auf einem Bauernhof zu einem Misthaufen vor dem Riesenrad geschichtet. In dem picken nämlich die Hühner gerne! Außerdem dient er als natürlicher Dünger für die Beete. Genauso das Fell der Schafe, denn es enthält Urin, was vor allem Blumen gut düngt und Wasser speichert. Außerdem setzen Philipp und Sebastian mit anderen Kreativen aus dem Werksviertel-Mitte neue, nachhaltige Projekte um, wie zum Beispiel die mobilen Insektenhotels.
Für die 70 Liter Honig, die sie dieses Jahr geerntet haben, hatten die Jungs eine besondere Idee: Ein DIY-Paket, mit dem ihr ein Bienenwachstuch und einen Lippenbalsam herstellen könnt. Das Packerl beinhaltet alles, was ihr dafür braucht: Bienenwachs, Honig, ein Tuch und eine kleine Dose, in die ihr am Ende den Balsam einfüllen könnt. Und weil das Tuch automatisch die Verpackung ist, bleibt rein gar nichts übrig! Das schöne am Konzept des Werksviertel-Mitte ist, dass alle, die im Viertel tätig sind, kreativ werden und gemeinsam nachhaltige Ideen umsetzen können.
So hat zum Beispiel einer der Künstler den "Wohnraum" der zwei Ameisenvölker, die in einem der Treppenhäuser zum Dach leben, designed und installiert. Oben gibt es Terrarien, in denen die Ameisen zu sehen sind. Rohre führen am Treppengeländer zwei Stockwerke tiefer zum Zentrum der Ameisenkolonie – durch Fenster in den Rohren, können wir sie bei ihrem Weg beobachten. Wusstet ihr, dass sich Ameisen von einem Pilz ernähren, den sie selbst anlegen? Und dass sie einen Friedhof haben? Wir jedenfalls nicht!
Die Stadtalm ist kein Streichelzoo
Die Ameiseninstallation wurde zum einen angelegt, um den sonst leerstehenden Raum der Feuertreppe zu nutzen und ist zum anderen Teil des Projekts "Almschule", bei dem Schulklassen mitten in der Stadt einen Tag in der Natur verbringen können. Aber kein Grund neidisch zu sein: Es gibt auch eine Führung, mit der ihr unter anderem die Stadtalm besuchen und super viel über das feine Nachhaltigkeitskonzept des Werksviertel-Mitte erfahren könnt! Für die Führung müsst ihr manchmal sehr lange auf einen Termin warten, weil die Tiere möglichst natürlich leben und deshalb nicht zu viele Menschen auf das Dach gehen dürfen: Die Stadtalm ist kein Streichelzoo! Das warten lohnt sich aber.
Wir gehen jedenfalls mit dem Kopf voll schöner Bilder, dem Geruch von Schafdung und einer Hand voll frischer Pflaumen nach Hause. Die hat Sebastian uns am Ende unseres Besuchs ganz lässig vom Baum geschüttelt. Warum sind eigentlich nicht alle Flachdächer der Stadt begrünt?, fragen wir uns den Mund voll süßer Pflaumen, während wir im Fahrstuhl des ehemaligen Pfanni-Gebäudes nach unten fahren. Über mehr Alm-Vergnügen würden wir uns jedenfalls freuen. Aber wer weiß was im Werksviertel-Mitte noch alles passiert, wir bleiben gespannt!
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