Eine Handbreit unter der Discokugel: Ach, Münchner Nachtleben, du fehlst mir so sehr!
Ich vermisse das Münchner Nachtleben. Ich vermisse es, ins Charlie einzulaufen, sich zu fühlen wie ein Midnight Cowboy und doch weniger drauf zu sein als der Rest des verschwitzten Clubs. Ich vermisse es, die Treppen in der Milla mit einem gekonnten, weil geübten, Schwung zu nehmen. Ich vermisse es, bei Fancy Footwork im zuckerklebrigen Cocktail aus Liebe und Disco unterzugehen. Im Keller von Radio80000 über dem guten Geschmack und unter der Stadt zu thronen.
Mal wieder Halt an einem Tresen finden, seine hölzerne Umarmung garniert vom Dirtytalk des Barkeepers. Wie versaut erscheint aktuell das Gedrängel an der Bar vom Cucurucu – und wie geil. Geradezu lasziver Rudelbums war das doch. Trotz dieser klangvollen Aufzählung an Räumen voller Wünsche, ist mein Sehnsuchtsort das Rumtreiben selbst. Casual Aufstrapsen, um sich dann ein Gösser oder einen Spritz zu holen und durch die Stadt zu schlendern. Vielleicht trifft man jemanden, vielleicht auch nicht, ausmachen muss man jedenfalls nichts.
Langeweile, ehemals ein Luxusgut.
Eiswürfel klirren in Gläsern. Sind sie perfekt gespült – who cares? Konzerte mit Reihen voller Handybildschirmen, doch dazwischen zwischendurch wahre Virtuosität. Beats, die dir dieses wunderbar alles egalisierende Rauschen in die Ohren setzen, dich reanimieren, nach deiner langweiligen Woche. Langeweile, ehemals ein Luxusgut.
Ein Königreich für mein liebstes Rednerpult, die Traube vor jedem Lokal. Verschwitzt an eine Kippe geklammert, im Kreis meiner One-Night-Jünger. Bei der Portwein-Predigt neue Wahrheiten finden. Für die genervten Anwohner, Silencer und alle Umstehenden – vielleicht auch nur für mich selbst. Der Rauch ist Motoröl für mein Organ.
Ich will mal wieder der coolste Typ im Club sein. Wer mich kennt, weiß, dass das auch vor Corona nicht passiert ist. Aber wem auch – außer DJs und Barkeeper*innen? Es geht um dieses Gefühl. Dieses Gefühl, durch seine Präsenz zum Epizentrum der Tanzfläche zu werden, nur weil man diese exakt zum Einsetzen des neuen (und besseren) Tracks betreten hat. Eine Handbreit unter der Discokugel durch schweben, den Lichtstrahl mit frechem Grinsen erwidern. Rumknutschen, Clubtoiletten – oder einfach mal wieder flirten als würde es etwas bedeuten. Zu lange Blicke. Dieser Moment, wenn das Wirbeln von Haaren zur Gewissheit über den Rest des Abends werden kann. Ich rutsche in meiner Erinnerung von braunem U-Bahn-Leder auf Taxirückbänke.
Wann werden wir mal wieder aufwachen und ahnen, gestern Fehler gemacht zu haben? Ich will ein zu kurzes Wochenende. Ich will Kater. Ich will echtes Drama. Ich will Reue, verdammte Scheiße.
Ich will ein zu kurzes Wochenende. Ich will Kater. Ich will echtes Drama. Ich will echte Reue, verdammte Scheiße.
Feierbanane, Zwischennutzung und Zapfenstreich hören sich inzwischen wie Kosenamen an. Und wenn wir schon beim Hören sind, ich vermisse gerade sogar „Last Night“ von den Strokes im klebrigen Auffangbecken des Cords. Dieses Lied hat mir im Münchner Nachtleben nicht mehr gefehlt, seit ich 20 war. Was würde ich gerade dafür geben. Auch für ein pseudo-hippes Schickeria-Drogi-Open-Air – irgendwo auf dem Dach oder im Schilf. Man braucht ja schließlich mal wieder etwas, auf das man entschieden keine Lust hat. Freiheit, dagegen zu sein. Den Spaß, sich über zu wenig zu beschweren, nicht über nichts.
Letztens hat ein befreundeter Schlagersänger in seiner Instagramstory die Frage aufgeworfen, ob wir uns nicht in Vorfreude üben sollten. Noch keinen Spritz im Februar, keine Lebkuchen im September. Fairer Punkt, gute Idee. Gleichzeitig brauche ich aktuell eben schon im Winter einen Spritzer Sommer, und sei es nur, um das Rumtreiben zumindest kurz zu schmecken.
DISCLAIMER: Der Autor ist sich seiner mitteleuropäischen, weißen, männlichen Privilegien durchaus bewusst. Auch, dass Feiern und regelmäßiges Zum-Affen-Machen gerade – mehr denn je – Luxusgüter sind, die auf der Agenda aller Probleme, die Menschen aktuell haben können, sehr weit unten stehen. Und obwohl er sich sehr glücklich schätzt, aktuell überhaupt einen Job zu haben, hat er folgenden Text über das Rumtreiben geschrieben, in der Hoffnung, andere mitteleuropäische Hedonismus-Snobs mögen ihn lesen und dabei Empathie empfinden.