Für die Stadt und das Lebensgefühl: München braucht die Wiesn!

© Julian Mittelstaedt

Anfang Mai wird in München entschieden, ob das Oktoberfest nach über zwei Jahren wieder stattfinden kann. Wir haben in der Redaktion mal nachgefragt, wie die Meinungen so liegen. Unsere Autorin Lena Bammert würde die Wiesn am liebsten für immer abschaffen. Unser Autor Dominik Schelzke findet dagegen, die Wiesn sollte unbedingt wieder stattfinden.

Wer bei einer Gegenüberstellung den positiven Part schreibt, dem wird gerne unterstellt, er sei zu hundertprozent dafür, ein Fan gar. Daher vielleicht zu Beginn direkt: Nein, ich bin kein Wiesn-Ultra. Wie könnte ich das auch sein, besitze ich ja nicht mal eine passende Tracht. Stattdessen bin ich in den letzten Jahren, wenn ich überhaupt gegangen bin, in normaler Straßenkleidung auf das Oktoberfest gegangen. Frevel.

Wobei jetzt wieder einige sagen werden, früher seien unsere Eltern ja nie in Tracht auf die Wiesn, gehört sich also eh so. Womit wir schon fast bei meiner These sind: Egal, ob es um die Tracht, den Exzess oder das Italienerwochenende geht, zur Wiesn hat ganz München eine klare Meinung. Sie gehört zum Profil dieser Stadt wie die Isar und Karl Valentin. Allein deshalb sollte das größte Volksfest der Welt 2022 wieder stattfinden – um endlich zu einer irgendwie gearteten Normalität zu gelangen.

Zwischen Krinoline und purem Wahnsinn

Wenn die Welt an München, Bayern, ach die gesamte Bundesrepublik denkt, dann denken die Menschen an Bier, Brot und technische Präzision. Und das Oktoberfest. Von China bis Brasilien feiern sie mehr oder weniger akkurate Ableger und wer jemals das fragwürdige Vergnügen hatte, auf einem dieser Folklore-Feste zu sein, dem wird erst wirklich bewusst, wie schön wir es hier vor Ort haben.

Ich hatte das selbst lange Zeit aus den Augen verloren. Nachdem ich als kleiner Junge mit meiner Oma immer in der Krinoline unterwegs war und als großer Junge im Schottenhamel beim Anstich regelmäßig von der Bank geflogen bin, hat die Wiesn danach irgendwie langsam ihren Reiz verloren. Zu viele Touris, zu viele dichte Vollidioten, generell zu teuer auch alles. Einfach ein übertriebener Wahnsinn. Den übrigens wohl niemand jemals besser beschreiben wird, als mein ehemaliger SZ-Kollege Holger Gertz in dem vielleicht härtesten Selbstversuch aller Zeiten.

Bussis, Bier & Brüste – die Wiesn 2018 in 11 Bildern
© Dominik Morbitzer
Bussis, Bier & Brüste – die Wiesn 2018 in 11 Bildern
© Dominik Morbitzer

Also habe ich mich hinter die Isar nach Giesing zurückgezogen und die Tracht eingemottet. Einmal pro Jahr bin ich dann aber trotzdem – in Jeans – über die Theresienwiese geschlendert, so ganz konnte ich mich dem Sog einfach nicht entziehen. Es wurde zum Ritual. Schießen, Schokofrüchte und eine Fahrt im Riesenkettenkarussell. Den Kotzpfützen ausweichend habe ich bestaunt, wie sich eine ganze Stadt dem Rausch hingibt – im Guten wie im Schlechten.

Und mit der Zeit wurden meine Besuche dann doch wieder mehr. Bier aus dem Tonkrug auf der wundervollen Oiden Wiesn, spätabends bei den netten Bedienung an der Schnapsbar von der Fischer-Vroni oder zum Wiesnabschluss ins Schützenzelt. Erst Sonne auf dem Balkon, dann Robbie Williams und Wunderkerzen. Kitsch, klar. Aber schee is scho!

Aber wann, wenn nicht zum Neustart 2022, wäre der optimale Zeitpunkt, alte Fehler zu beheben?

Die Wiesn ist ein Fest der Extreme. Sie kann traumhaft schön sein oder albtraumhaft fürchterlich. Alle, die jemals auf dem Kotzhügel (allein, dass es sowas gibt) aufgewacht sind, können ein Volksliedchen davon singen. Die Probleme mit den sexuellen Übergriffen, der hohen Gewaltbereitschaft und dem übertriebenen Konsum auf allen Ebenen werden sich durch zwei Jahre Coronapause nicht in Luft aufgelöst haben. Aber wann, wenn nicht zum Neustart 2022, wäre der optimale Zeitpunkt, diese Fehler zu beheben? Oder es zumindest ernsthaft und transparent anzugehen.

Denn, die Wiesn ganz abzuschaffen, kann nicht die Lösung sein. Dafür hängen zu viele Schausteller-Schicksale daran. Dafür reisen zu viele Tausende jedes Jahr von weit her an. Dafür lieben zu viele Münchner*innen dieses Fest heiß und innig. Auch ich. Nachdem ich 2019 fast den großen Wiesnschein gemacht habe und jeden Tag da war, haben mich die letzten zwei Jahre arg geschmerzt. Ein Wiesn-Ultra bin ich immer noch nicht, dafür spricht einfach zu viel dagegen. Aber riesig freuen würde ich mich schon, wenn sie dieses Jahr wieder stattfindet. Und sich München für ein paar Tage in ein Land der Ekstase verwandelt – in dem es nach gebrannten Mandeln riecht und das Bier in Strömen aus einem weiß-blauen Himmel fließt.

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