Mehr als Betonblocks & Hochhäuser: Eine Liebeserklärung an Neuperlach
Mit einem Käffchen in der Hand an süßen Concept-Stores vorbei flanieren, vor bunten Häuserfassaden auf den "herrlich sonnigen Tag" mit einem Wein anstoßen und danach in der eigenen Altbauwohnung ins Bett zu fallen. Das war meine Vorstellung von einem Leben in München. Doch aus meinen Wohnträume zwischen dem hippen Glockenbachviertel, dem schicken Schwabing oder dem schnuckelige Haidhausen fiel ich schnell auf den grauen Betonboden im Osten der Stadt: Neuperlach.
München wirkt nach außen schick und edel, säumt seine Straßen mit süßen Cafés und kleinen Läden und strahlt mit der Sonne um die Wette.
Zu verdanken hatte ich meinen Einzug in Münchens vermeintliches Problemviertel einem typischen Kathi-Moment: Mein Umzug in die Hauptstadt Bayerns war so spontan und ungeplant, dass alles mal wieder sehr schnell gehen musste. Somit war ich wirklich dankbar über die erste WG-Zusage und bestätigte diese einfach ohne den Stadtteil genauer zu checken. Ich packte also meine 11 Sachen und stopfte mein ganzes Leben in mein Auto. Abschiedsschmerz hatte ich keinen. Ich war mir sicher, dass alles besser ist, als der Donau-Nebel, der immer so schwer auf meinem Herzen lag.
Doch statt Altstadt-Charme erwartete mich Wohnsiedlungs-Flair. Lasst mich naiv klingen, wenn ich von den Hochhäusern im ersten Moment überrascht war. Sogar ein bisschen erschreckt wurde. Zudem regnete es an diesem Tag im Jahr 2020 auch noch wie aus Eimern. Ich parkte mein vollbeladenes Auto und schleppte mich die Treppen meines neuen Zuhauses in einem grauen Wohnblock nach oben. In der WG angekommen, stellte ich den Umzugskarton ab und schaute gedankenverloren und ein bisschen traurig aus dem Fenster. "Wie komme ich hier nur ganz schnell wieder weg?", war dann mein allererster Gedanke. Doch im Leben kommt es immer anders, als man denkt.
Neuperlach wünschte mir Willkommen mit grauen Betonblöcken, vollgeparkten Straßen und keinem einzigen Laden, in dem man einen "Ich freue mich auf euch"-Sekt kaufen hätte können.
Denn dieser graue Wohnblock oder besser gesagt diese WG im Herzen von Neuperlach hat mein Leben mit so viel Farbe und Vergnügen erfüllt. So trist dieser Stadtteil auf die meisten Münchner*innen wirkt, so schön kann er auf seine eigene Art und Weise sein. Klar, er hat nicht den besten Ruf, aber ich würde Neuperlach immer verteidigen.
Argumente, für meine Neuperlach-Verteidigung fand ich schon nach ein paar Wochen, nachdem mir die elendige Wohnort-Frage tierisch auf die Nerven gegangen war. Erstens fährt man vielleicht 12 Minuten mit der U5 bis zum Odeonsplatz. Zweitens wohne ich immer noch in München. In einer der sichersten Städte der Welt.
Und drittens kann es dort wirklich wunderbar sein. Abends, wenn wir als WG zusammen auf dem Balkon gegessen haben, konnten wir die Berge in der Ferne sehen und fühlten uns einfach frei. (Ein besonderer Dank an den 7. Stock: Du kannst so herrlich sein, solange der Aufzug funktioniert.) Auch meine Jogging-Ausflüge und endlosen Spaziergänge im Ostpark taten meiner Seele gut. Es laufen deutlich weniger Menschen umher als im Englischen Garten, man kann Wildgänse sehen und hat einen wunderbaren Blick von dem kleinen Berg inmitten des Parks. Einen Biergarten gibt es hier übrigens auch. Wenn wir im Sommer Langeweile hatten, hüpften wir aufs Rad und fuhren an den nächsten See oder nach Haidhausen, was eigentlich ziemlich nahe ist.
Manchmal, wenn ich so mit einem Feierabendbier an der Isar sitze, vermisse ich dich und deine raue und doch liebevolle Art. Und den Blick aus dem 7. Stock.
Nie hätte ich gedacht, dass eines der größten westdeutschen Siedlungsprojekte sich für mich so schnell wie zu Hause anfühlen könnte. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Danke Neuperlach, dass du mir den Start in München mit so wunderbaren Menschen versüßt hast! Dass ich deine dunklen Ecken und den Ostpark, den Perlacher Forst, das Gefilde und das PEP entdecken konnte, bevor mich dein Ruf davon abgehalten hätte. Du bist besser als München denkt! Manchmal, wenn ich so mit einem Feierabendbier an der Isar sitze, vermisse ich dich und deine raue und doch liebevolle Art.